Washington. Florida gilt als „Sonnenscheinstaat“. Aber wie lange noch? Klimaforscher stellen eine drastische Prognose für den beliebten US-Staat.

Der Reiz ständigen Sonnenscheins, endloser Strände und sommerlicher Temperaturen – selbst im Winter – lockt Menschen aus aller Welt seit Jahrzehnten nach Florida. Unter ihnen Touristen und sogenannte „Snow Birds“, zu Deutsch „Schneevögel“ – also Rentner, die ihren Lebensabend im „Sunshine State“ verbringen wollen.

Doch jenen, die längerfristige Pläne haben und in Eigenheime oder Ferienwohnungen investieren, droht ein böses Erwachen. Wissenschaftlern zufolge könnten in Florida in absehbarer Zeit mehrere Millionen Menschen das Dach über dem Kopf verlieren.

Forscher warnen: Klimawandel könnte für Florida dramatische Folgen haben

„Wenn nichts unternommen wird, um den katastrophalen Folgen der globalen Erwärmung entgegenzuwirken, dann werden in Florida bis zum Ende des Jahrhunderts etwa eine Million Gebäude unter Wasser sein, 90 Prozent davon Einfamilienhäuser, in denen mehrere Personen leben“, warnt Adrian Santiago Tate, Mitbegründer der Forschungsgruppe „High Tide Intelligence“, die der Stanford Universität angegliedert ist.

Wie Meeresforscher der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) vorrechnen, wird in dem südlichsten US-Staat der Meeresspiegel in 17 Jahren um mindestens 30 Zentimeter über dem Stand von 2020 liegen. Wenn Emissionen nicht deutlich zurückgehen und die Erwärmung der Ozeane sich weiter beschleunigt, dann könnten die Zahlen sogar deutlich höher liegen, so die NOAA. Nicht auszuschließen wäre dem Institut zufolge, dass bis zum Jahr 2100 der Meeresspiegel um weitere zwei Meter steigt.

US-Bundesstaat kämpft schon jetzt mit Klima-Katastrophen

Dabei sind die Folgen des Treibhauseffekts den Floridianern keineswegs neu. Schließlich wird kein anderer Staat von so vielen Unwettern heimgesucht. Zuletzt im September vergangenen Jahres, als Hurrikan Ian über dem „Sonnenscheinstaat“ tobte. Er entwurzelte Bäume, schleuderte Autos durch die Luft und mähte entlang der Atlantikküste ganze Nachbarschaften nieder. Gleichwohl demonstrierte die Bevölkerung bemerkenswerte Resistenz. Zerstört wurde nämlich auch die Brücke, die die beliebten Ferieninseln Sanibel und Captiva Island mit dem Festland verbindet. Auch hatte das Auge des Sturms in den Ferienparadiesen gewütet und beide Inseln in Trümmer gelegt.

Hurrikan „Ian“ hatte im September 2022 große Schäden im US-Bundesstaat Florida angerichtet.
Hurrikan „Ian“ hatte im September 2022 große Schäden im US-Bundesstaat Florida angerichtet. © AFP | Ricardo Arduengo

Sanibel und Captiva würden sich niemals von der verheerenden Katastrophe erholen, hieß es. Bereits im Frühjahr war aber der Wiederaufbau an den populären Reisezielen so weit vorangeschritten, dass es heute wieder von Touristen wimmelt. Eine ganz andere Gefahr als die fast jährlich wiederkehrenden Hurrikane stellt aber die globale Erwärmung dar, und für die Bevölkerung sowie die Wirtschaft könnten die schleichenden Folgen des Klimawandels verheerend sein.

Klimawandel: Darum ist gerade Florida so gefährdet

So prognostiziert der Immobiliendienstleister Zillow, dass der steigende Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 jedes achte Gebäude in Florida geschluckt haben wird. Auch erwarten Experten des Umweltforschungsinstituts XDI, dass mit der Ausnahme von China Florida stärker durch die globale Erwärmung gefährdet ist als jeder andere Staat und jedes andere Land der Welt. Die Gründe dafür: Floridas Küstengebiete erstrecken sich über fast 2.000 Kilometer, und die meisten der über 21 Millionen Einwohner leben maximal eine Autostunde vom Atlantik im Osten oder dem Golf von Mexiko im Westen entfernt.

Wie Harold Wanless, Geologie-Professor an der University of Miami überzeugt ist, „stellt der Anstieg des Meeresspiegels das mit Abstand größte Risiko dar“. Laut Wanless ist der Wasserstand in den letzten hundert Jahren um einen Meter gestiegen, und die Entwicklung wird sich angesichts der höheren Temperaturen weiter beschleunigen. Bedroht seien insbesondere tieferliegende Küstengebiete, in Metropolen wie Miami, Fort Lauderdale, Tampa, Jacksonville und kleineren Städten. Dort könnten selbst nach kleineren Unwettern Straßen unter Wasser stehen.

Immer wieder kommt es in Floridas Metropolen zu schweren Überschwemmungen. Experten warnen vor den Auswirkungen des Klimawandels, die hier schon deutlich spürbar werden.
Immer wieder kommt es in Floridas Metropolen zu schweren Überschwemmungen. Experten warnen vor den Auswirkungen des Klimawandels, die hier schon deutlich spürbar werden. © dpa | Gerald Herbert

Das wiederum würde auch Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung heraufbeschwören. Das Salzwasser würde nach Stürmen nicht nur Autos beschädigen. Auch werde das Meereswasser in den Boden sickern und könnte zusammen mit anderen Chemikalien das Grundwasser verseuchen. Ferner sei zu erwarten, dass Klärgruben, die in den USA weit verbreitet sind, weil viele Nachbarschaften nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen sind, überschwemmt werden und Abwasser auf die Straßen gespült wird.

Trotz Risiken: Immer mehr Menschen ziehen nach Florida

Nicht zu unterschätzen sind auch die wirtschaftlichen Folgen, die den Floridianern schon heute zu schaffen machen. Nach den Hurrikanen im vergangenen Jahr, die typischerweise im Spätsommer beginnen und gegen Ende Oktober ausklingen, haben Versicherungsunternehmen die Prämien für viele Hauseigentümer in küstennahen Gebieten bis zu dem Dreifachen erhöht. Zahlreiche Policen wurden sogar fristlos gekündigt.

„Plötzlich war unsere Versicherungsprämie fast so hoch wie unsere monatliche Hypothekenzahlung, das konnten wir uns nicht mehr leisten“ erzählt Bryce G., ein Rentner aus der Küstenstadt Coral Gables. Folglich haben der pensionierte Beamte und sein Frau ihren einstöckigen Bungalow zum Verkauf angeboten, konnten aber Monate lang keinen Abnehmer finden. Nicht etwa, weil sie einen zu hohen Preis verlangten, sondern weil potenzielle Käufer von den astronomischen Kosten der Hausversicherung abgeschreckt wurden.

Umso erstaunlicher ist angesichts der düsteren Szenarien, die Klima- und Meeresforscher zeichnen, dass Menschen nicht auswandern – im Gegenteil. Vergangenes Jahr verzeichnete Florida einen größeren Zustrom neuer Bürger als jeder andere US-Staat. Wie aus einer Studie der Bank of America hervorgeht, machten 2022 319.000 Amerikaner den Sonnenscheinstaat zu ihrer Wahlheimat. Damit wuchs die Bevölkerung um mehr als 1,5 Prozent und dürfte – ungeachtet der zunehmenden Gefahren für die Umwelt, den Immobilienmarkt, die Wirtschaft und die Gesundheit der Bürger – weiter zulegen.