Berlin. Döpfner hat mit abfälligen Äußerungen Wut und Empörung ausgelöst. Doch was ist der mächtigste Verleger Deutschlands für ein Mensch?

Die FDP müsste Deutschland längst mal regiert haben, gemessen an ihren Sympathisanten in deutschen Verlagsspitzen. Der spätere Stern-Chef Henri Nannen wollte 1947 für die FDP in den niedersächsischen Landtag.

Gerd Bucerius, Gründer von Zeit und Gruner&Jahr, wurde im selben Jahr als gemeinsamer Kandidat von CDU und FDP in den Bundestag gewählt, wo sich Spiegel-Erfinder Rudolf Augstein 1972 versuchte, wenn auch nur für drei schreckensreiche Monate. Bernd Buchholz, ehemals Bertelsmann-Vorstand, diente bis 2022 als FDP-Wirtschaftsminister in Kiel und Focus-Gründer Helmut Markwort ist immer noch aktiv bei den Liberalen.

Auch Springer-Chef Mathias Döpfner ist Fan. Zur Bundestagswahl 2021 wies er sein Kampfblatt Bild an, für die FDP zu kämpfen: „Die sollten 16 Prozent mindestens kriegen“. Es wurden nur gut 11, womit nebenbei die Macht des Boulevards entmystifiziert wurde: Hochschreiben, etwa des Freiherrn zu Guttenberg, klappt eher selten. Niedermachen wie beim Fall des einstigen Bundespräsidenten Christian Wulff, geht dagegen immer.

Hajo Schumacher
Hajo Schumacher © Annette Hauschild | Annette Hauschild

Springer-Chef Döpfner: Private Chats veröffentlicht

Döpfners FDP-Order ist eine von vielen, die direkt in die Redaktion gingen, und eine der milderen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlichte eine Sammlung seiner skurrilen digitalen Kurztexte, die sich zu einem Selbstporträt von Deutschlands mächtigstem Verleger fügen.

Döpfner poltert gegen „Ossis“, lobt Trump, mäkelt über Merkel und orakelt über Nieder- und Untergang des Abendlandes. Orthografie, Satzbau und stringente gedankliche Unterkomplexität weisen darauf hin, dass die Nachrichten eilig verfasst wurden, womöglich zur Schlafenszeit, wenn einsame Menschen bestenfalls „Noch wach?“ texten.

Ethikexperten kritisieren, dass die Miniaturen erstens aus dem Kontext gerissen seien und zweitens unter den Schutz der Privatsphäre fielen. Dagegen stellt sich die Frage, was Bild wohl mit solchen Fundstücken gemacht hätte. Eben. Insofern ist es fair, wenn der oberste Bild-Chef mit denselben medialen Methoden verarztet wird, die sein Boulevard-Blatt nutzt.

Äußerte sich angeblich abwertend gegenüber Ostdeutschen: Springer-Chef Mathias Döpfner.
Äußerte sich angeblich abwertend gegenüber Ostdeutschen: Springer-Chef Mathias Döpfner. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Von öffentlichem Wert sind die Botschaften, weil sie ein – übrigens durch die Meinungsfreiheit gedecktes – Weltbild illustrieren, das offenbar die Linie der Springer-Berichterstattung vorgab. Wenn Redaktionen aber derart klare Direktiven bekommen, verschwimmt die Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus, wenn Fakten zur Meinung passen müssen.

So untergraben die Anweisungen vom Boss zwangsläufig die Glaubwürdigkeit all seiner Journalisten, die nach außen wie mediale Auftragskiller wirken müssen, die Herrchens Stimme artig auf Kampagne dengeln. Klar kann man sich widersetzen. Aber wer wagt das in einem hierarchischen Haus, wo nur auf eines Verlass ist - die nächste Kündigungswelle. Bizarrer Nebeneffekt: Haltungsjournalismus und medialer Aktivismus, den Springer, bisweilen zu Recht, den Öffentlich-Rechtlichen vorwirft, wird im eigenen Haus genauso betrieben, auf Geheiß des Obersten.

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Springer-Chef: Vom Studenten zum Milliardär und Unternehmer

Döpfner ist Chef, und was für einer. Beeindruckend sein Aufstieg vom Studenten der Musikwissenschaften zum alleinigen Anführer von Deutschlands größtem Verlag. Der einstige Journalist ist inzwischen Unternehmer und Milliardär, dem Deutschland zu klein geworden ist. Springer expandiert in den USA und Döpfner verkehrt mit Menschen, die einen gewissen globalen Größenwahn teilen.

Tesla-Gründer und Twitter-Eigner Elon Musk etwa, der Raketen bauen lässt, als wolle er der Enge des Planeten entfliehen. Oder der sinistre Peter Thiel, der mit frühen Investments bei Facebook und PayPal märchenhaft reich wurde und Regierungen in aller Welt nun seine Überwachungs-Software Palantir Gotham andient, eine Art privater digitaler Geheimdienst.

Diese Männer eint Verachtung; sie belächeln Klimawandel, Sozialpolitik und vermeintlich weichliche Politiker. Sie gehören zum Club der ganz großen Jungs, die nicht mit Privatflugzeugen prahlen, sondern mit ihrem Einfluss. Thiel etwa spendete großzügig an Donald Trump, den auch Döpfner klasse findet. Und wenn alles schief geht, gibt es immer noch Yachten oder abgelegene Inseln für den Rückzug und bald auch Raumschiffe.

Springer-Chef Döpfner: Opfer seines Machthungers?

Getrieben ist diese Kaste vom kollektiven Hunger auf Mehr, vor allem mehr Macht. Bezeichnend die Nachricht, in der Döpfner sich über das „absolute Scheitern der Eliten“ beklagt. Offenbar rechnet er sich selbst gar nicht dazu, sondern betrachtet sich und seinesgleichen als eine Art globaler Superelite, die als einzige den Durchblick hat.

Möglich, dass Döpfner zum Opfer seines Machthungers geworden ist. Psychologen bewerten Macht als eine tückische Droge, die bei übermäßigem Gebrauch die Persönlichkeit verändert. Die Forschung weiß: Je mehr Macht jemand hat, desto weniger schert er sich um soziale Normen und Gesetze.

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Macht enthemmt, führt zu Selbstüberschätzung und Doppelmoral: Ansprüche an andere sind weit höher als die an sich selbst. Das Paradoxon der Macht besagt, dass Qualitäten wie Kollegialität, Empathie oder Rücksicht, die zu Macht führen, als hinderlich empfunden werden, sobald der Gipfel des Pavianfelsens erklommen ist.

Mächtige sind die, die wie selbstverständlich den letzten Keks vom Teller nehmen, überzeugt, dass er nur ihnen zusteht. Mächtige glauben womöglich auch, dass ihre SMS sich von allein zerstören und nirgendwo gespeichert werden.

Machiavellismus, also Macht ohne Rücksicht, bildet mit Narzissmus und Psychopathie die „dunkle Triade“, gekennzeichnet durch Gier und Realitätsverlust. Infantino, Erdogan, Putin, Wirecard-Braun – dunkle Triaden scheinen überall auf, wo Kontrolle fehlt.

Rücktrittsforderungen gehen ins Leere

Die Demokratie wurde erfunden, um das Gefahrengut Macht einzuhegen, durch absichtsvoll komplexe Mechanismen und vor allem begrenzte Laufzeiten. Eben deswegen wollen Machthungrige, ob in den USA oder Israel, ob in Polen oder Ungarn ja Instanzen wie oberste Gerichte kleinmachen.

Für Machtmenschen in der Privatwirtschaft aber gibt es kaum Kontrolle; Döpfner muss sich nur den Springer-Investoren gegenüber verantworten, deren Wertewelt mit einem Wort beschrieben ist: Rendite. So werden die geleakten Nachrichten Döpfner beruflich kaum schaden, auch wenn die gediegene Verleger-Witwe Friede Springer überlegen dürfte, ob es vielleicht doch leichtsinnig war, Döpfner Anteile und Stimmrecht zu schenken. Rücktrittsforderungen, wie sie die Politik erhebt, gehen jedenfalls ins Leere so lange Döpfner ordentliche Zahlen liefert.

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Schon in dieser Woche werden die Springer-Festspiele fortgesetzt. Mittwoch präsentiert Benjamin von Stuckrad-Barre seinen neuen Roman „Noch wach?“ Der Schriftsteller arbeitete einige Jahre für Döpfner, bis man sich über die MeToo-Causa des früheren Bild-Chefs Julian Reichelt weniger gütlich entzweite. Entgegen allen Gepflogenheiten wurden von „Noch wach?“ keinerlei Vorab-Exemplare verschickt. Das Werk bleibt bis zum 19. April streng geheim, weshalb Auguren neue Details aus Springers Innenwelt erwarten.

Stuckrad-Barre wiederum lässt wissen, dass er kein Enthüllungsjournalist sei, sondern Schriftsteller. Das gefällt Döpfner bestimmt. Am Ende, so lautete eine seiner warmherzigeren Mitteilungen, bleiben ohnehin „nur Kunst und Liebe“.