Jena. Museum kurios: Warum der berühmte Jenaer Evolutionsbiologe eine Qualle nach seiner Ehefrau benannte.

Es gibt gute Gründe, den Jenaer Zoologen und Freidenker Ernst Haeckel (1834–1919), einen der Väter der Evolutionstheorie, zumindest in Phasen seines Lebens für verschroben zu halten. Deren geringste beruhen auf seinen eigenartigen Vorlieben und Liebesverhältnissen. Geradezu vernarrt war Haeckel in den Stamm der Nesseltiere und feierte die vielgestaltige Schönheit der glibberigen Meeresbewohner etwa in seinem berühmten Buch „Kunstformen der Natur“. So lag es nahe, dass er – zum Liebesbeweis – zwei dieser fadenscheinigen Wesen nach seiner Ehegattin benamste: Mitrocoma Annae und Desmonema annasethe.

Letztere ist uns bis heute so einzigartig wie ihm seine Frau. Das legendäre Typusexemplar dieser Fahnenqualle wird als Nasspräparat im Jenaer Phyletischen Museum bewahrt. Desmonema kam Haeckel im März 1872 unter die Hände. Sein Vetter Wilhelm Bleek schickte es ihm aus Südafrika mit den begleitenden Worten: „No. 11. An der Fischhookbay u. Kalkbay meist am Strand aufgelesen. Unter den aus dem Seewasser genommenen, ist ein scheibenförmiges mit sehr vielen herabhängenden Fäden.“ Haeckel war fasziniert.

Das weltweit einzige uns bekannte Exemplar

Er beschreibt das wundervolle Geschöpf im „System der Medusen“ mit glühender Inbrunst – als Epitaph für seine acht Jahre zuvor, allzu jung verstorbene Gemahlin: „Der Speciesname dieser prachtvollen Discomeduse – einer der schönsten und interessantesten unter allen Medusen – verewigt die Erinnerung an Anna Sethe, die hochbegabte feinsinnige Frau, welcher der Verfasser dieses Tafelwerkes die glücklichsten Jahre seines Lebens verdankt.“ Da hält noch heute auch der rationalste Naturwissenschaftler vor lauter Rührung erst einmal inne.

„Das Problem ist“, erklärt die Biologin Sabrina Hug, Mitarbeiterin im Phyletischen Museum, „dass bis heute niemand mehr eine solche Qualle gefunden hat.“ Es ist also das weltweit einzige uns bekannte Exemplar. Könnte es sein, dass Desmonema annasethe so rar und in den abgelegensten Sphären der Meere beheimatet ist? Oder dass es sich bloß um die Jugendform einer anderen Art handelt? Sabrina Hug zuckt die Achseln. Das Feld der biologischen Quallenforschung ist noch immer ein weites.

Ihr zartes Bild ziert allerlei Hausrat

Haeckels allerliebste Meduse ist heute zur regelrechten Berühmtheit geworden. Ihr zartes Bild ziert allerlei Hausrat von der Kaffeetasse bis zum Duschvorhang, und die punkige Modeschöpferin Vivienne Westwood verwendete das Motiv für eine Hose. Dem Zoologen indes gebührt einer der vornehmsten Plätze in der Wissenschaftsgeschichte. Charles Darwin und ihm ist es zu danken, dass die damals höchst umstrittene Abstammungslehre, die ja die biblische Schöpfungsgeschichte unterminierte, längst Eingang in die Schulbücher fand. Haeckel selbst leistete einen mäzenatischen Beitrag, um sie zu verbreiten, indem er der Jenaer Universität das Phyletische Museum stiftete – als das einzige seiner Art weit und breit.

Dort kann man den Reichtum der Natur auf unserem Globus per Rundgang studieren – und lernt, wie es dazu kam. „Das Museum wimmelt von kleinen Schmuckstücken“, preist Zoologie-Professor Martin Fischer zu recht dieses Erbe Ernst Haeckels. Er und seine Kollegen und Mitarbeiter von der Universität Jena widmen dem Ahnherrn ihrer Zunft zu dessen 100. Todestag eine Sonderausstellung – und natürlich hat Desmonema annasethe darin einen Ehrenplatz. Man wird entzückt sein.

Phyletisches Museum Jena:

  • Typus: Naturhistorisches Museum
  • Träger:Friedrich-Schiller-Universität Jena
  • Schwerpunkte: Stammesgeschichte, Biodiversität, Evolution
  • gegründet: 1907
  • Ausstellungsfläche: 700 m2
  • Besucher/Jahr: 17.000
  • Öffnungszeiten: Di-Fr 9-13 u. 14-17 Uhr, Sa-So 10-16 Uhr
  • Eintrittspreise: Erwachsene 2,50 Euro, ermäßigt 1,50 Euro, Schüler 0,50 Euro, Familienkarte 4 Euro
  • Audio-Guide: nein
  • Adresse: Vor dem Neutor 1, 07743 Jena
  • Internet: www.phyletisches-museum.de