Erfurt. Wann und warum fühlen wir uns schuldig? Die Spitzenreiter einer Befragung der Fachhochschule Erfurt gaben bis zu 11 verschiedene Gründe an.

Was macht uns ein schlechtes Gewissen? Unter welchen Umständen schauen wir Freunden, Bekannten, Fremden nicht mehr so gern in die Augen? Ein Team um den Psychologieprofessor und Sozialwissenschaftler Tobias Luck von der Fachhochschule Erfurt wollte es genauer wissen und befragte mehr als 600 Erwachsene im Alter von 18 bis 84 Jahren, wann und warum sie Schuldgefühle empfinden. Die Ergebnisse erschienen im Fachjournal BMC Psychology.

Anlässe, sich mies vorzukommen, gibt es offenbar zuhauf. Spitzenreiter sind demnach Lügen beziehungsweise das Zurückhalten von Wahrheiten oder Informationen und die Vernachlässigung der Familie. Letztere äußere sich etwa darin, nicht genügend Zeit mit der Familie zu verbringen, sich nicht ausreichend um die Familie zu kümmern oder nicht für die Familie dazusein. Die Teilnehmer hätten in der offenen Befragung 1515 Gründe für Schuldgefühle angegeben, die die Forscher 49 Kategorien zuordnen konnten. Dazu gehörten „Schuldgefühle im Zusammenhang mit negativen Selbstzuschreibungen gegenüber anderen Personen“ sowie „Schuldgefühle im Zusammenhang mit Fehlverhalten oder Fehlern“. Im Schnitt wurden von den Befragten 2,5 Gründe angeführt, die Spitze lag bei 11 Gründen.

Schuldgefühle werden im Alter geringer

Dagegen spielten Schuldgefühle, die sich explizit auf religiöse Überzeugungen oder eine subjektiv empfundene allgemeinere Verantwortung beziehen, eher eine untergeordnete Rolle. Bei männlichen und weiblichen Erwachsenen sowie Teilnehmern unterschiedlichen Alters hätten sich sowohl Ähnlichkeiten bei den angegebenen Auslösern von Schuldgefühlen gezeigt als auch Unterschiede. Frauen erlebten häufiger Schuldgefühle in Bezug auf Familienmitglieder, Kinder und eine Art allgemeine Verantwortung für das Wohlergehen von anderen. Männer fühlten sich häufiger wegen eines Fehlverhaltens sowie wegen Schwierigkeiten in Ehe oder Beziehung schuldig. Männern gaben generell mehr Gründe als Frauen an, Jüngere mehr als Ältere.

„Erwachsene können sich aus den unterschiedlichsten Gründen schuldig fühlen. Die meisten Anlässe scheinen ziemlich konkret zu sein und beziehen sich auf negative Selbstzuschreibungen oder auf konkrete soziale Situationen mit konkreten Personen“, sagt Tobias Luck. Gezeigt habe sich auch, dass Gründe für ein schlechtes Gewissen wegen Lügen oder wegen Fehlverhaltens und schlechtem Denken gegenüber anderen im höheren Alter an Bedeutung verlieren.

Die Erfurter Forscher beschäftigen sich schon länger mit dem Thema und und haben in der Vergangenheit bereits Schuldgefühle im Zusammenhang mit Festen wie Weihnachten oder Ostern untersucht. Weiterer Forschungsbedarf bestehe zu der Frage, inwieweit Schuldgefühle zu einem erhöhten Depressionsrisiko beitragen.