Berlin. Er soll für Habeck die Energiewende wuppen: Patrick Graichen. Nun steht er in der Kritik. Könnte der Wirtschaftsminister auch ohne ihn?

Eigentlich leben Staatssekretäre in der zweiten Reihe. Sie versuchen möglichst geräuschlos umzusetzen, was ihre Minister und Ministerinnen wollen. Doch einer von ihnen steht jetzt im grellen Rampenlicht: Robert Habecks Vertrauter Patrick Graichen war beteiligt an einem Auswahlverfahren für den neuen Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), an dessen Ende die Wahl auf seinen Trauzeugen fiel.

Wer ist der Mann, der für Habeck die Energiewende managen soll? Und warum ist der Minister offenbar nicht bereit, ihn gehen zu lassen? In der Klima-Szene ist Graichen seit langem bekannt. Vor seiner Berufung ins Ministerium war er Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende, die das Ziel ihrer Bemühungen schon im Namen trägt.

Dort entwickelte er zusammen mit seinem Team Fahrpläne und Szenarien, wie Deutschland klimaneutral werden kann. Und er brachte sie mit ins Wirtschaftsministerium, als Habeck ihn Ende 2021 zum verbeamteten Staatssekretär berief.

Vor Agora Energiewende war Graichen jahrelang im Umweltministerium

Agora hatte er 2012 einst mitgegründet. Zwei Jahre später übernahm er den Chefposten, als der vorherige Direktor Rainer Baake Staatssekretär wurde – im Wirtschaftsministerium, dass damals noch SPD-Mann Sigmar Gabriel führte. Auch Graichen kannte da schon den Ministerialbetrieb, vor Agora hatte er elf Jahre lang im Umweltministerium gearbeitet.

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Trotz dieser langjährigen Erfahrung zog er sich nicht zurück aus dem Auswahlverfahren für den dena-Chef, als klar wurde, dass unter den Bewerbern ein persönlicher Freund ist – ein Fehler, das weiß man auch bei den Grünen. „Es gibt vermutlich niemanden, der sich mehr über diesen Fehler ärgert als Patrick Graichen“, sagt Julia Verlinden, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Aber das ist ein Fehler, den man heilen kann, und das wird jetzt auch passieren.“

Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, steht in der Kritik.
Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, steht in der Kritik. © dpa | Kay Nietfeld

Gleichzeitig sehen sie und andere Grüne eine Kampagne gegen den Staatssekretär und das Haus, „von denen, die an fossilen Geschäftsmodellen festhalten wollen“, wie Verlinden dieser Redaktion sagt. „Sie merken, dass wir ernst machen mit der Energiewende, und versuchen, das zu bremsen.“

Sollte Graichen gehen müssen, fürchten Wegbegleiter, könnte das ein ernsthafter Rückschlag sein für die Energiewende in Deutschland. Denn er habe eine Ausnahmestellung, kenne sich wie wenige damit aus, was sektorübergreifend getan werden muss, um die Klimaziele zu erreichen. Habecks Projekt, Deutschland auf den Weg zur Klimaneutralität zu bringen, wäre ohne Graichen wohl deutlich schwieriger.

Robert Habeck lobte die Arbeit seines Staatssekretärs

Der Wirtschaftsminister selbst hat in der vergangenen Woche noch einmal hervorgehoben, wie zentral Graichen aus seiner Sicht für die Arbeit des Hauses ist. „Patrick Graichen ist meiner Ansicht nach der Mann, der Deutschland vor einer schweren Energiekrise bewahrt hat“, sagte Habeck bei einer Veranstaltung in Kiel. Er habe die Kohlekraftwerke ans Netz gebracht und die Atommeiler länger laufen lassen.

Graichens Expertise wird in der Koalition anerkannt. Er hat allerdings den Ruf eines Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Klimaschützers. Als 2022 unter seiner Verantwortung die Strom- und Gaspreisbremse konstruiert wurde, sollten Bürger mit Ölheizungen zunächst ohne Unterstützung bleiben. Dies ließ sich fachlich rechtfertigen, da der Preisanstieg für Öl nicht so dramatisch gewesen war wie die Kostenexplosion für Gas. In der SPD gab es aber auch die Lesart, darin eine politische Entscheidung zu sehen: Der im doppelten Sinne fossilen Heizungsart sollte kein Geld hinterhergeworfen werden, so die Deutung.

Unter Druck: Minister Robert Habeck und sein Staatssekretär Graichen.
Unter Druck: Minister Robert Habeck und sein Staatssekretär Graichen. © picture alliance / Flashpic | Jens Krick

In der aktuellen Diskussion hält sich die SPD mit einer Bewertung zurück. In den Verhandlungen über das Habeck-Graichen-Gesetz zum Austausch von Heizungen gibt es noch mehrere Punkte, die es aus Sicht der SPD-Fraktion mit dem Wirtschaftsministerium zu klären gibt. „Bei behördlichen Auswahlverfahren müssen mögliche Interessensverflechtungen ausgeschlossen sein“, sagte die energiepolitische Sprecherin Nina Scheer unserer Redaktion zu Graichens Beteiligung an der Besetzung der dena-Spitze.

FDP wirft Habeck vor, nicht den Mut zum Rauswurf zu haben

Bei der FDP ist man da weniger zimperlich. „Robert Habeck muss mit sich selbst ausmachen, wie lange er sich von seinem beamteten Staatssekretär öffentlich vorführen lassen will“, findet Vize-Parteichef und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki.

Dass Graichen ohne Wissen des Ministers seinen Trauzeugen zum Chef der dena gemacht habe, hätte in anderen Konstellationen unweigerlich die Entlassung zur Folge gehabt, sagte er dieser Redaktion. „Dass Habeck nicht den Mut aufbringt, Konsequenzen zu ziehen, macht ihn selbst zur Zielscheibe politischer Attacken.“ Vertreter von CDU und CSU fordern bereits die Entlassung Graichens als Staatssekretär.

Eine neue Aufgabe suchen muss sich zunächst aber vor allem Michael Schäfer, der im Juni seine neue Stelle als dena-Geschäftsführer hätte antreten sollen. Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär und Aufsichtsratsvorsitzender der Agentur, will dem Aufsichtsrat vorschlagen, das Auswahlverfahren neu aufzusetzen – einschließlich einer Neuausschreibung der Stelle, die Schäfer hätte bekommen sollen.