Brüssel. Mit deutschem Einsatz könnte ein Durchbruch bei der EU-Asylreform gelingen. Das ist ein Erfolg – doch passieren muss noch viel mehr.

Endlich kommt Bewegung in die europäische Flüchtlingspolitik. Eine wieder stark steigende Zahl von Asylbewerbern in Europa hat die Mitgliedstaaten derart alarmiert, dass die jahrelange Blockade der Asylreform nun zu Ende gehen könnte: Verschärft Europa seinen Kurs und setzt auf Abschreckung jener irregulären Migranten, für die das Asylrecht niemals gedacht war?

Sicher ist das nicht, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass die EU-Innenminister am Donnerstag den Stillstand auf einer der größten politischen Baustellen beenden – und eine Basis finden, auf der dann bis Anfang 2024 die Reform final beschlossen werden könnte. Gut so! Der nahende Durchbruch in Europa wäre auch ein Erfolg der Ampel-Koalition. Erst hat sich Berlin angesichts des Problemdrucks von alten Illusionen der Asylpolitik verabschiedet. Nun spielt Innenministerin Faeser auf EU-Ebene eine zentrale Rolle bei der Einigung.

Das alles ging so lautlos, dass Kritiker erst mit Verspätung registrierten, wie weit die Reform reicht: An den EU-Außengrenzen sollen künftig alle Migranten konsequent registriert und überprüft werden, was einen besseren Grenzschutz voraussetzt. Asylanträge würden bei der Einreise vorgeprüft, viele Migranten für einige Wochen in Zentren festgehalten – und jene, die absehbar gar keine Aussicht auf einen Schutzstatus haben, im Eilverfahren gleich zurückgeschickt.

Christian Kerl, EU-Korrespondent.
Christian Kerl, EU-Korrespondent. © Funke | privat

Für viele Grüne ist der neue Asylkurs eine große Zumutung

Wie gut das funktioniert, ist durchaus offen. Aber es sind richtige Schritte, um irreguläre Migration zu begrenzen und Schlepperbanden das Handwerk zu erschweren. Von einer Festung Europa kann keine Rede sein. Das Recht auf Asyl bliebe ja unangetastet, Flüchtlinge aus wichtigen Herkunftsländern wie Afghanistan oder Syrien werden weiter Schutz finden – weshalb die Kommunen hierzulande besser nicht auf schnelle Entlastung spekulieren sollten.

Dass die Koalition jetzt über Ausnahmen für Kinder bei diesen Verfahren diskutiert, hat wohl vorwiegend innenpolitische Gründe. Vor allem für viele Grüne ist der neue Asylkurs eine große Zumutung. Sonderregeln für Kinder würden ihnen helfen, die gewaltige Asyl-Kröte zu schlucken. Aber Berlin darf an dieser wenig aussichtsreichen Forderung nicht die Reform scheitern lassen.

Europa braucht auf lange Sicht ein solidarisches Verteilsystem

Klar ist: Die Asylzentren an den Außengrenzen müssen für alle Flüchtlinge ohne Abstriche menschenrechtlichen Standards entsprechen, für Kinder wie für Erwachsene. Um Haftanstalten geht es nicht. Aber nicht nur hier kommt es auf die Details an, die noch zu verhandeln sind – Kompromisse auf Kosten humanitärer Grundsätze darf es nicht geben. Möglich wäre die Verständigung aber nur, weil Deutschland und andere Länder notgedrungen auf ihre Forderung verzichten, alle EU-Länder verbindlich zur Aufnahme schutzbedürftiger Flüchtlinge zu verpflichten. Das bleibt ein Manko.

Die überfällige Reform kann deshalb nur ein erster Schritt sein: Auf längere Sicht braucht Europa ein System mit solidarischer Verteilung. Mit der Möglichkeit für Migranten, schon außerhalb der Union Asyl zu beantragen, was die oftmals tödlichen Mittelmeer-Überfahrten überflüssig machen würde. Und mit mehr Chancen auf einen legalen Aufenthalt in Europa auch jenseits des Asylrechts.

Die jetzt geplante Reform setzt vorrangig auf Abschreckung und Ordnung an den Grenzen. Das ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine dauerhafte Lösung. Europa braucht – geregelte – Migration. Und wer umgekehrt mit guten Gründen Schutz braucht in Europa, muss ihn weiter bekommen.

Europäische Union