Brüssel. Die EU-Kommission will die strengen Regeln für Gentechnik in der Landwirtschaft lockern. Warum einige Politikerinnen davor warnen.

Die Europäischen Union (EU) plant eine deutliche Lockerung für den Umgang mit Gentechnik in der Landwirtschaft – und sorgt damit für eine heftige Kontroverse: Gemüse, Getreide und andere Nahrungsmittel, die auf Basis neuer Gentechnik-Methoden hergestellt werden, sollen im Supermarkt bald nicht mehr von anderen Produkten ohne Gentechnik zu unterscheiden sein.

Die heutige Kennzeichnungspflicht als genetisch verändertes Produkt soll für diese Lebensmittel ebenso entfallen wie die aktuell noch notwendige Zulassungsprüfung auf ökologische oder gesundheitliche Risiken. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den die EU-Kommission beschlossen hat. Die 20 Jahre alten, strengen europaweiten Regeln für den Einsatz von Gentechnik wird damit weitgehend abgeschafft. Bei dem Vorhaben müssen sich das Europaparlament und die EU-Staaten noch auf einen Kompromiss einigen.

„Wir geben den Landwirten die Werkzeuge an die Hand, um gesunde und sichere Lebensmittel zu produzieren, die an unsere sich ändernden klimatischen Bedingungen angepasst sind und unseren Planeten respektieren“, erläuterte die zuständige EU-Lebensmittelkommissarin Stella Kyriakides den Plan. Verbraucher könnten künftig aus mehr Lebensmitteln mit verbessertem Geschmack, besserem Nährwert oder verringertem Gehalt an allergieauslösenden Substanzen wählen.
Innerhalb der Bundesregierung wird die Initiative kontrovers bewertet.

Neue Gentechnik-Regeln: Was Politikerinnen davon halten

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) lehnt die Lockerung der Gentechnik-Regeln ab. Der Vorschlag ermögliche es, dass große Mengen an gentechnisch veränderten Pflanzen ohne Kennzeichnung für die Verbraucher auf die Äcker und letztlich in die Supermärkte gelangen könnten, sagte die Grünen-Politikerin: „Das halte ich für falsch.“

Auch die Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD)Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) will nicht auf Gentechnik setzen. „Die Gentechnik hat in ihrer Geschichte noch keinen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherung geleistet“, so die Ministerin. „Ihr gesellschaftlicher Nutzen wird in der Theorie oft behauptet, aber in der Praxis zielt die Gentechnik auf Patente und Profite.“

Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).
Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD). © dpa | Kay Nietfeld

Lediglich Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) begrüßt den Vorschlag: „Er geht in die richtige Richtung“, sagte sie. „Endlich“ werde in Brüssel auf die Entwicklung in der Wissenschaft reagiert, „denn das Gros der Wissenschaft sagt ,Ja’ zu den Neuen Züchtungstechniken“.

Tatsächlich handle es sich um „den Schlüssel für die großen Herausforderungen der Menschheit.“ Größere Ernteerträge oder hitzetolerantere Pflanzen seien dank der Neuen Züchtungstechniken schnell und mit kleinerem Aufwand als bisher möglich. „Diese Chance müssen wir jetzt ergreifen.“

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Das steckt hinter dem brisanten Gentech-Plan für Lebensmittel

Pflanzen sollen durch Gentechnik widerstandsfähiger werden
Die Novelle zielt auf einfachere Vorschriften für sogenannte geneditierte Pflanzen. Dabei geht es nicht wie bei der klassischen Gentechnik um das Einschleusen fremder Gene in die Pflanze, sondern um präzise Veränderungen des Erbguts von Pflanzen, die auch durch bisherige Züchtungsmethoden entstehen könnten.

Besonders bekannt ist die Entwicklung der sogenannten Gen-Schere Crispr Cas, die vor drei Jahren mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Kommission erwartet, dass mit der Reform Pflanzen mit größerer Widerstandskraft etwa gegen Hitze, Dürre oder Überschwemmungen gezüchtet werden, sodass diese besser mit dem Klimawandel zurechtkommen.

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Andere Züchtungen könnten darauf abzielen, dass die Pflanzen weniger Dünger oder Schädlingsbekämpfungsmittel benötigen. Bislang gilt auch für diese neuen Techniken das strenge Gentechnikrecht der EU mit Sicherheitsprüfung und Kennzeichnungspflicht.

In Deutschland werben unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina für die Lockerung: Solche neuen Züchtungstechniken böten ein besonders großes Potenzial, um die Landwirtschaft umweltfreundlicher und widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen.

Der EU-Plan sieht zwei Kategorien für die neuen Gentechniken vor: Wenn die genveränderten Pflanzen mit jenen vergleichbar sind, die durch konventionelle Züchtung entstehen, entfällt die bisherige strenge Risikoprüfung und die Pflicht zur Kennzeichnung der Produkte. Gehen die Eingriffe über das hinaus, was auch mit üblicher Züchtung erreichbar wäre, bleibt es bei den bisherigen strengen Regeln.

Das sagen die Verbände zu dem Plan

Der Deutsche Bauernverband unterstützt die geplante Reform, während Biobauern, Bioläden und Umweltorganisationen sie ablehnen. „Gentechnik widerspricht den Grundprinzipien von Bio“, kritisiert der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW): „Die EU-Kommission lässt sich von der Gentechnik-Lobby den Kurs diktieren.“

Verbraucherschützer halten die fehlende Transparenz und Sicherheit für inakzeptabel. „Verbraucherinnen und Verbraucher müssen selbst entscheiden können, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel kaufen wollen oder nicht. Mit dem Vorschlag der EU-Kommission steht diese Wahlfreiheit auf dem Spiel“, kritisiert Michaela Schröder von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Der Grünen-Agrarexperte im EU-Parlament, Martin Häusling, nennt die EU-Pläne einen „Schlag ins Gesicht für Verbraucher und Biolandwirte“. Niemand werde mehr erfahren, ob auf seinem Teller gentechnisch veränderte Lebensmittel landen.