Berlin. Olaf Scholz hätte privat eigentlich etwas zu feiern, doch der Kanzler muss zum SPD-Parteitag – dort erwartet ihn schlechte Stimmung.

Für das Ende der Woche hat Olaf Scholz drei wichtige Termine im Kalender stehen: seinen Silbernen Hochzeitstag mit Ehefrau Britta Ernst, sein zweijähriges Amtsjubiläum als Kanzler und den SPD-Parteitag. Das Treffen der SPD-Delegierten könnte dem Bundeskanzler die Feierlaune vermasseln. Denn nicht nur muss Scholz die Tage in einer Berliner Messehalle verbringen, anstatt mit seiner Frau das 25-jährige Ehejubiläum zu feiern, auch ist die Stimmung bei den Sozialdemokraten angespannt.

„Es würde mich wundern, wenn wir drei Tage stehenden Applaus bekommen“, erwartet Parteitagsorganisator Kevin Kühnert. „Aus meiner Partei höre ich oft den Appell, dass wir uns und unsere Erfolge besser verkaufen sollen.“ Die Mitglieder wüssten zwar genau, was die SPD bisher in der Ampel-Koalition erreicht habe, „aber die sehen auch unsere Umfragewerte und wollen uns kämpfen sehen“, sagte der SPD-Generalsekretär dieser Redaktion. „Beim Parteitag wird es also nicht nur Grußworte und ein Feierabendbier geben.“

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Die Hoffnungen waren nach dem Wahlsieg 2021 groß gewesen in der SPD: endlich wieder ein Sozialdemokrat im Kanzleramt. Nach zwei Jahren Ampel-Koalition macht sich allerdings Ernüchterung breit. Zwar ist der Mindestlohn auf zwölf Euro gestiegen und das Bürgergeld ist beschlossene Sache, in der Regierung rumpelt es aber unaufhörlich. Die Kommunikation von Scholz ist umstritten, die Umfragewerte der SPD liegen bei nur noch 15 Prozent. Durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Regierung in ihre schwerste Krise seit Amtsantritt gestürzt. Und neue Dokumente belasten Scholz in der Cum-Ex-Affäre.

SPD-Parteitag: Scholz dürfte Unmut über Lage der Ampel abbekommen

Den Unmut über die Lage dürfte auch Scholz abbekommen. Der frisch neugewählte Juso-Chef Philipp Türmer hat angekündigt, dem Kanzler ab sofort mächtig Druck machen zu wollen, damit mehr SPD in der Regierungspolitik enthalten ist. Es ist aber unsicher, ob sich die Partei in der Haushaltskrise gegen die FDP mit der Forderung durchsetzen kann, auch 2024 die Schuldenbremse auszusetzen. Die Sozialdemokraten hoffen, die Frage bis zum Parteitag abzuräumen. Doch FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sieht keine Eile.

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Die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil treten auf dem am Freitag beginnenden Parteitag zur Wiederwahl an. Ihre Ergebnisse dürften ein Barometer für die Stimmung in der SPD sein, die zu Beginn der Legislatur noch von dem Anbruch eines sozialdemokratischen Jahrzehnts geträumt hatte.

Könnte der dreitägige Parteitag also zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen? Kühnert widerspricht: „Im Zentrum wird die Frage stehen: Wie sichern wir den Wohlstand der Zukunft? Was ist dafür an öffentlichen Investitionen nötig?“ Nach dem Haushaltsurteil seien diese Fragen „brandaktuell“. Der Leitantrag der Parteispitze enthält die Forderung, die Einkommensteuer für 95 Prozent der Bevölkerung zu senken, Multimillionäre und Milliardäre sollen stärker belastet werden.

Kühnert: Wenn wir über Ungerechtigkeit sprechen, müssen wir an Riesenvermögen ran

Die SPD will außerdem über die Erbschaft- und Schenkungssteuer diskutieren. „Wenn wir an die ganz großen Ungerechtigkeiten der Republik ran wollen, dann müssen wir über Riesenvermögen sprechen, die heute entlang des Stammbaums weitergegeben werden“, sagt Kühnert. „Arbeitnehmer mit einem normalen Vollzeitjob zahlen in Deutschland etwa 20 Prozent Einkommensteuer, Erben von riesigen Unternehmen hingegen zahlen im Schnitt 2,8 Prozent Erbschaftsteuer.“ Das sei ungerecht gegenüber der Mehrheit der Menschen, die kaum oder gar nicht erbten und somit schlechtere Zukunftschancen hätten. „Bei uns sollte Leistung belohnt werden und nicht etwa der Genpool“, forderte Kühnert.

„Wenn wir an die ganz großen Ungerechtigkeiten der Republik ran wollen, dann müssen wir über Riesenvermögen sprechen“, sagt Kevin Kühnert.
„Wenn wir an die ganz großen Ungerechtigkeiten der Republik ran wollen, dann müssen wir über Riesenvermögen sprechen“, sagt Kevin Kühnert. © Funke Foto Services | Sergej Glanze

Der Leitantrag soll das Programm für die nächste Bundestagswahl skizzieren. Die Parteispitze will ab sofort stärker reine SPD-Forderungen in die Debatte bringen, die sie trotz Kanzler und ihrer Rolle als stärkste Regierungspartei in der Koalition so nicht durchsetzen kann. Außerdem soll der Parteitag der Auftakt ins Wahljahr 2024 sein, in dem zunächst die Europawahl stattfindet und dann in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt wird.

Kühnert hat bereits vor Monaten mit der Organisation des Europawahlkampfes begonnen. „Die Europawahl im Juni findet zeitgleich mit neun Kommunalwahlen statt“, sagt der Generalsekretär. „Das ist zweifelsohne ein Stimmungstest, aus dem alle Parteien Schlüsse über die aktuelle Stimmung in Deutschland und für das Bundestagswahljahr 2025 ziehen werden.“

Stärke der AfD: Sorge vor Wahlen in drei ostdeutschen Ländern

Entscheidend für das Wahljahr ist zudem das Abschneiden der AfD, die derzeit ihre hohen Umfragewerte feiert. Die Landtagswahlen im Osten und die erwarteten zersplitterten Mehrheitsverhältnisse bereiten Kühnert daher Kopfzerbrechen: „Vor dem Hintergrund der bereits bestehenden Lage in Thüringen mache ich mir Sorgen um die Fähigkeit der demokratischen Kräfte, Mehrheiten nicht nur im Parlament zu haben, sondern sie auch zu nutzen.“

Nur die SPD werde im Osten nicht von einer anderen demokratischen Partei als Partnerin ausgeschlossen. Von seiner Partei könne man sich also etwas abschauen, „wenn unsere Demokratie über ideologische Gräben hinweg verteidigt werden muss“, fügte Kühnert selbstbewusst hinzu. „Das erwarte ich auch von anderen demokratischen Kräften, erst recht wenn die AfD bei über 30 Prozent steht.“

ParteiSozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Gründung23. Mai 1863
IdeologieSozialdemokratie, Sozialstaat, Europäische Integration
VorsitzendeSaskia Esken und Lars Klingbeil (Stand: April 2023)
Fraktionsstärke206 Abgeordnete im Bundestag (Stand: April 2023)
Bekannte MitgliederOlaf Scholz, Karl Lauterbach, Frank-Walter Steinmeier