Seoul. Nordkorea provoziert den Süden und liefert Waffen nach Russland. Eine gefährliche Strategie. Doch Kim Jong-un gibt sich siegessicher.

In Südkorea hätte das Jahr kaum hässlicher beginnen können. Einen Tag nach Neujahr fiel Lee Jae-myung, der liberale Oppositionsführer, der vor knapp zwei Jahren beinahe Präsident geworden wäre, einem Attentat zum Opfer. Ein Mann, der sich als Unterstützer ausgegeben hatte, stach dem 60-jährigen Lee bei einem Besuch in Busan in den Hals, woraufhin Lee in ein Krankenhaus gebracht wurde. Seit Tagen wird über den Fall berichtet, Lee befindet sich auf dem Weg der Besserung. Der Täter ist gefasst, hat über Regierung und Opposition geklagt: Beide seien schlecht für das Land.

Doch mittlerweile dominiert schon ein neuer Schock die Schlagzeilen. Am Freitag feuerte das verfeindete Nordkorea rund 200 Granaten in Richtung Südkorea. Verletzt wurde niemand. Die Geschosse fielen ins Meer, über dessen Zugehörigkeit sich die zwei Staaten streiten. Dennoch hatte die Angelegenheit eine besondere Bedeutung – selbst im hitzigen Kontext der koreanischen Halbinsel, wo auf Militärübungen des Südens immer wieder Raketentests des Nordens folgen.

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Mit den Schüssen ist klar: Ein Abkommen aus dem Jahr 2018, das die nun betroffene Gegend als Pufferzone zwischen dem kommunistisch regierten Norden und dem demokratischen Süden deklarierte, ist endgültig hinfällig. Schon im November hatte der rechtspopulistische Präsident Südkoreas, Yoon Suk-yeol, das Abkommen ausgesetzt, nachdem Nordkorea einen Satelliten ins All befördert hatte. Nun gibt der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un zu verstehen: Es gibt keinen Puffer mehr. Nord- und Südkorea stehen Stirn an Stirn. Die Lage ist höchst angespannt.

Putin und Kim – für die Welt eine gefährliche Freundschaft

Und dies längst nicht nur zwischen diesen beiden Staaten in Ostasien. Zuletzt hat die US-Regierung verkündet, dass auch in der Ukraine nordkoreanische Raketen eingesetzt worden seien. Im September hatte sich Russlands Präsident Wladimir Putin auf russischem Boden mit Kim Jong-un getroffen, in der Folge deutete sich ein Waffendeal zwischen Russland und Nordkorea an: Vor Ort hatte es geheißen, man werde „alle Themen“ besprechen. Nun sieht man dies auf US-Seite bestätigt.

Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un verspricht sich von der Freundschaft zu Putin, dass er wirtschaftliche Hilfe und U-Boote bekommt.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un verspricht sich von der Freundschaft zu Putin, dass er wirtschaftliche Hilfe und U-Boote bekommt. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Yuri Kadobnov

Mittlerweile seien nicht mehr nur Raketen und Raketenabschussvorrichtungen aus Nordkorea nach Russland geliefert worden. Laut der US-Regierung sei einiges Material davon auch schon eingesetzt worden. Am Dienstag seien nordkoreanische Raketen von russischem Territorium aus abgeschossen worden, woraufhin sie 900 Kilometer in die Ukraine geflogen seien. „Das ist eine signifikante und besorgniserregende Eskalation“, kommentierte John Kirby, Sprecher des Weißen Hauses für nationale Sicherheit.

Aus Perspektive von Russland und Nordkorea ergibt eine solche Kooperation durchaus Sinn, kommentiert Vladimir Tikhonov, Professor für Koreanistik an der Universität Oslo und Experte sowohl für Nordkorea als auch die Sowjetunion: Seit Russlands Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 habe das russische Militär enormen Verschleiß erlitten, und durch die internationalen Sanktionen gegen Russland sei es schwieriger geworden, Nachschub für diverse Teile zu erhalten. Aber als alter Partner aus Zeiten des Kalten Krieges könne Nordkorea, das seinerseits mit Sanktionen belegt ist, aushelfen.

Kim Jong-un droht, ein Krieg könne jederzeit ausbrechen

„Russland kann eine größere Zahl von Granaten und Teile sowjetischer Panzer gebrauchen“, so Tikhonov. „Nordkorea produziert all diese Dinge in großen Mengen.“ Das Land scheint damit nun auf ähnliche Weise in den Ukraine-Krieg involviert wie diverse westliche Staaten – allerdings auf der entgegengesetzten Seite. Im Gegenzug für die Lieferungen nach Russland, so vermutet Tikhonov, wird Nordkorea auf wirtschaftliche oder auch militärische Hilfe hoffen: Diese könne einerseits Nahrungsmittel beinhalten, andererseits auch Unterstützung für Nordkoreas veraltete U-Bootflotte, die ebenfalls auf sowjetischer Technologie beruht.

In Kiew steht ein Junge auf einem zerstörten russischen Raketenwerfer.
In Kiew steht ein Junge auf einem zerstörten russischen Raketenwerfer. © SOPA Images/LightRocket via Getty Images | SOPA Images

So können die gegenwärtigen Spannungen abermals zu einer Hochrüstung auch auf der koreanischen Halbinsel führen. Und das zeichnet sich ohnehin längst ab. In Südkorea – dem laut dem Friedensforschungsinstitut Sipri neuntgrößten Waffenexporteur weltweit – fand im vergangenen Oktober eine große Rüstungsmesse statt. Dort wurde verkündet, die heimische Industrie solle künftig deutlich gestärkt werden. Mehrere Rüstungsdeals mit Ländern in Europa und Asien sind bereits beschlossen. Ziel ist, dass Südkorea bald zum fünftgrößten Rüstungsexporteur der Welt aufsteigt.

In Nordkorea hat sich Kim unterdessen dabei ablichten lassen, wie er durch ein Arsenal von Interkontinentalraketen spaziert. Man wolle die Produktion solcher Geschosse, die eine Reichweite von 15.000 Kilometern haben sollen und damit theoretisch die USA und Europa erreichen könnten, nun erhöhen. Ende Dezember hatte Kim in einer Ansprache gesagt, ein Krieg könne „jederzeit ausbrechen.“ Am Montag fügte Kim hinzu: Seine Streitkräfte müssten dann bereit sein, „den Gegner gründlich zu vernichten.“

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