Berlin. Kremlchef Putin ist nicht nur der Totengräber der Nachkriegsordnung. Die Zahl der Verluste im Ukraine-Krieg könnte bei 500.000 liegen.

Zehntausende Soldaten sind seit Beginn des Ukraine-Krieges gefallen. Genaue Zahlen werden entweder geheimgehalten oder umgehend von der jeweils anderen Seite angezweifelt – wie zuletzt, als Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew von 31.000 toten ukrainischen Soldaten sprach.

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Im Westen werden höhere Zahlen gehandelt als in Russland oder in der Ukraine. Jede Kriegspartei kämpft um ihre Öffentlichkeit; Opferzahlen wirken sich auf die Kampfmoral aus.

Briten und Amerikaner beziffern die Ausfälle mit 500.000. Wenn im Englischen von „Casualties“ die Rede ist, sind allerdings alle Ausfälle gemeint: Verwundete und Kriegsversehrte, Vermisste und Gefangene. Nicht nur die Toten.

Bachmut, Awdijiwka, Gegenoffensive

Halbwegs sicher ist, dass mehr Russen als Ukrainer auf den Schlachtfeldern starben. Der Angreifer ist gewöhnlich in Überzahl und geht höhere Risiken ein.

Der Blutzoll scheint im zweiten Kriegsjahr höher gewesen zu sein als zu Beginn. Drei opferreiche Ereignisse spielten sich großteils 2023 ab: die Schlachten um Bachmut und Awdijiwka sowie die ukrainische Gegenoffensive.

Es kann passieren – auch unabsichtlich –, dass Opfer doppelt gezählt werden. Gleichwohl gibt es Kriterien der Plausibilität, Hinweise und Anhaltspunkte für Recherchen, um der Wahrheit halbwegs nahezukommen:

  • Die Schätzungen von Experten und Beobachtern;
  • Berichte und Nachrufe in Medien und sozialen Netzwerken;
  • Von Geheimdiensten abgefangene Kommunikation;
  • Auswertung von Datenbanken, etwa aus dem Sterberegister;
  • Satellitenaufnahmen von Friedhöfen.

Die medizinische Versorgung gilt als relativ schlecht und erklärt nicht zuletzt viele Verluste, insbesondere die Zahl der Verwundeten. So nannte Selenskyj lediglich die Zahl der Toten; die der Verwundeten blieb er hingegen ausdrücklich schuldig.

„Sie sind reines Kanonenfutter“

Militärexperten wie der Österreicher Marcus Reisner bescheinigen der russischen Seite einen skrupellosen Umgang mit Soldaten. Videos sollen belegen, dass in einer ersten Welle meist schlecht ausgebildete Soldaten eingesetzt werden. Sie sollen das Feuer auf sich lenken, um die Stellungen der Ukrainer besser zu erkennen. „Sie sind reines Kanonenfutter“, sagte Reisner in ntv.

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In der zweiten Welle sind dann besser ausgebildete Soldaten an der Reihe. Das erinnere an sowjetische Taktiken im Zweiten Weltkrieg. Immer wieder tauchen auch Berichte und auch Videos auf, wonach russische Soldaten von eigenen Kameraden, von Speertruppen, beschossen werden, wenn sie versuchen, sich von der Front zurückzuziehen.

Deutliche Unterschiede in den Zahlen

Auch wenn jeder Verlust grausam ist, so wiegen militärisch manche schwerer als andere. Der Verlust von Kommandozentralen oder der Absturz von Flugzeugen und der Tod von Piloten wiegen besonders schwer. Schließlich sind gut ausgebildete Soldaten und Spezialisten nicht einfach zu ersetzen.

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Das russische Exilmedium Mediazona meldete 44.654 gefallene russische Soldaten in der Ukraine (Stand: 14. Februar) und behauptet, zu jedem den Namen nennen zu können. Investigativjournalisten haben darüber hinaus eine Datenbank für Erbangelegenheiten, das Sterberegister, weitere statistische Angaben sowie Informationen von Hinterbliebenen ausgewertet. Sie kommen auf 66.000 bis 88.000 Gefallene sowie 130.000 verletzte russische Soldaten.

Mehr und größere Friedhöfe

In der Summe wären die Verluste geringer, als von den USA schon im vergangenen Sommer geschätzt (300.000) worden war. Für die Ukraine waren die Verluste mit annähernd 200.000 beziffert worden. Russen und Ukrainer weisen derweil der jeweils anderen Seite jeweils 400.000 Verluste zu und werfen sich gegenseitig Lügen vor.

Das Magazin Business Insider griff auf den Satellitendienst Maxar zurück, um im Vergleich von Bildern aus 2021 und 2023 die Zahl und die Areale russischer Friedhöfe einzuschätzen. Ergebnis: Sie seien enorm ausgedehnt worden.

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Wie viele Soldaten hat Russland?

Die „New York Times“ berichtete mit Hinweis auf Quellen in der US-Regierung, dass die Ukraine über insgesamt etwa 500.000 Soldaten und Russland über mehr als 1,3 Millionen verfügten. Davon seien wiederum 450.000 bis 500.000 im Kriegsgebiet. Einmal sprach Kremlchef Wladimir Putin sogar von 617.000.

Bisher scheint Russland keine großen Probleme zu haben, Soldaten zu rekrutieren. Der Sold und die Entschädigungssummen im Todesfall gelten als hoch. Die grausame Wahrheit ist, dass beide Seiten noch lange weitermachen können, insbesondere Russland, und dass die Verluste und Engpässe an Material – insbesondere bei Munition – viel eher kriegsentscheidend sein könnten.

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