Berlin. Die „Bürger in Wut“ holen fast 10 Prozent – und sind plötzlich bundesweit bekannt. Woher kommt der Erfolg? Was bedeutet er für die AfD?

Zwischen Kleingarten-Parzellen und einem Baustoffhandel feierten die „Bürger in Wut“ ihren Wahlerfolg. Während die meisten anderen Parteien die Lokale der Bremer Innenstadt besetzten, hatte sich die rechtskonservative Wählervereinigung lieber an den Stadtrand verzogen. „Waller Sportcafe“ hieß die Location, wo die einen vor der holzvertäfelten Bar genüsslich zu Fleisch mit Kartoffelsalat ihr Bier genossen – und die anderen sich in einer Art Turnhalle über die Leinwand an ihrem Wahlerfolg sattsehen konnten.

Fast jede zehnte Stimme bekam BiW am Sonntag bei der Wahl zur Bürgerschaft, nachdem es bei der vorherigen Wahl grade einmal für 2,4 Prozent gereicht hatte. Was ist das für eine Vereinigung, die plötzlich so populär ist im Zwei-Städte-Staat? Und was heißt ihr Erfolg für andere Parteien? BiW gibt es schon seit 2004, doch erst seit dieser Landtagswahl in Bremen ist die Partei deutschlandweitbekannt. 9,6 Prozent der abgegebenen Stimmen bekamen die BiW, fast aus dem Stand, ganze 22,7 Prozent sogar in Bremerhaven.

Mit Abstand die meisten dieser Stimmen kamen laut Nachwahlbefragungen von der AfD. Die hatte bei dieser Wahl nicht antreten dürfen, weil der tief zerstrittene Landesverband zwei konkurrierende Wahllisten eingereicht hatte. In der Folge entschieden sich viele, die sonst AfD gewählt hätten, dieses Mal für BiW.

BiW punkten mit den Themen „Flucht, Migration, Migrationsfeindlichkeit“

Die „Bürger in Wut“ waren mit Themen und Positionen angetreten, die denen der AfD sehr ähnlich sind: „Flucht, Migration, Migrationsfeindlichkeit“, so fasst es die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin zusammen. „Dass man damit Erfolge holen kann, ist ein Problem, das wir im ganzen Land haben. Das wäre wohl auch der AfD gelungen, hätte sie antreten können.“

Denn die Partei von Tino Chrupalla und Alice Weidel gewinnt gerade bundesweit wieder an Zustimmung. 15 bis 17 Prozent verzeichnet die AfD in den vergangenen Monaten immer wieder in Umfragen, Werte, die sie zuletzt im Herbst 2018 erreicht hatte.

Als „Lückenbüßer“ für die AfD sieht auch Politikberater Johannes Hillje die Bremer Gruppierung. Für deren Wähler seien die Parteien der demokratischen Mitte häufig keine Alternative. Doch es greife zu kurz, den Erfolg der BiW nur auf das Fehlen der AfD zurückzuführen. „In Bremen gedeiht der Rechtspopulismus auf Frust über die etablierten Parteien, wirtschaftlichen Ängsten und dezidiert rechten Einstellungen“, sagt Hillje, vor allem Bremerhaven sei eine rechtspopulistische Hochburg.

Piet Leidreiter (M), Spitzenkandidat der Wählervereinigung Bürger in Wut, klatscht nach Bekanntgabe der ersten Prognose für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft bei der Wahlparty der Wählervereinigung Bürger in Wut.
Piet Leidreiter (M), Spitzenkandidat der Wählervereinigung Bürger in Wut, klatscht nach Bekanntgabe der ersten Prognose für die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft bei der Wahlparty der Wählervereinigung Bürger in Wut. © dpa | Philip Dulian

Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Abwanderung und hohe Kriminalität würden dort Parteien wie der BiW günstige Bedingungen bieten. Dass das reicht, um sich über Bremen hinaus zu etablieren, glaubt er aber nicht – „zwischen CDU und AfD gibt es kein Potenzial für eine zusätzliche Partei“, sagt Hillje.

Nicht nur AfD-Anhänger machen ihr Kreuz bei der kleinen Partei

Bei den BiW selbst will man mehr sein als nur die Alternative zur Alternative. Wenn man in Bremerhaven 21 Prozent bekomme, „dann können sie nicht nur von der AfD profitiert haben“, sagte Jan Timke, Spitzenkandidat der BiW für Bremerhaven, am Montag. Seine Partei habe auch „massiv auch aus anderen Bereichen dazugewonnen, wir haben auch Nichtwähler in Bremerhaven dazu gebracht, wieder zur Wahl zu gehen“. Tatsächlich sind es nicht nur AfD-Anhänger, die dieses Mal ihr Kreuz bei den BiW machten.

Neben rund 2000 vorherigen Nichtwählern, die nach Analysen von Infratest dimap für BiW stimmten, holte die Partei auch Stimmen von etablierten Parteien. Fast 70 Prozent derer, die sich für die kleine Partei entschieden, gäben an, sie hätten so gewählt „aus Enttäuschung über die anderen Parteien“, sagt Reuschenbach. Das richte sich sowohl gegen die Regierungen im Land und im Bund, aber auch gegen die CDU, die an beiden nicht beteiligt ist. Laut infratest wechselten 3000 Wählerinnen und Wähler von der CDU zu BIW, 1500 von der SPD, immerhin noch 1000 von der FDP und 500 von den Grünen.

Kompetenzwerte der CDU sind gesunken

Die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer der Union in Bayern und Hessen, wo im Herbst gewählt wird, sollten aber vorsichtig sein, welche Schlüsse sie daraus ziehen, erklärt die Politikwissenschaftlerin Reuschenbach. „Immer dann, wenn, die CDU versucht, rechte Positionen zu kopieren oder sich inhaltlich diesen Positionen anzunähern, bekommt sie gleich zwei Probleme“, sagt sie.

Zum einen gingen die Stimmen zumeist auf das Konto des Originals, zum anderen verliere sie dann in der Mitte an SPD, Grüne oder Nichtwähler. Die CDU-Landesverbände, die sich ganz stark nach rechts abgegrenzt haben, in Sachsen-Anhalt zum Beispiel oder Schleswig-Holstein, hätten hingegen oft Boden gut machen können, sagt Reuschenbach. „Insofern ist die Debatte, die in der Partei jetzt geführt wird, ob der Kurs in Bremen zu progressiv war, meiner Meinung nach die Falsche“, sagt sie. „Die CDU muss auch angesichts starker Kompetenzverluste bei der Wahl in Bremen dort und im Bund inhaltliche Antworten haben auf Fragen der sozialen Sicherheit und der Transformation, anstatt sich migrationsfeindlichen Narrativen anzudienen.“

In Nachwahlbefragungen hatte die CDU zweistellige Prozentpunkte eingebüßt bei der Frage, ob ihnen Bürgerinnen und Bürger Kompetenz zusprechen für Wirtschaft, Finanzen, Arbeitsplätze und Verkehrspolitik. Geht es nach den „Bürgern in Wut“ soll Bremen erst der Anfang gewesen sein. Die Partei will fusionieren mit der Kleinpartei Bündnis Deutschland, die sie schon im Wahlkampf unterstützt hatte. Die Kandidatenliste für die nächste Landtagswahl in Hessen soll schon stehen.