Moskau. Der Krieg hat die russische Hauptstadt erreicht – doch der ersten Nervosität weicht der Alltag. Besorgte Stimmen gibt es nur im Netz.

Die Terrassen-Cafés am Kiewer Bahnhof in der Moskauer Innenstadt sind gut gefüllt, trotz des eher durchwachsenen Wetters. Die Menschen freuen sich auf das herannahende Wochenende, das viele auf ihrer Datscha verbringen werden, reden über ihre Einkäufe in der nahe gelegenen Shopping-Mall. Der Krieg, den der Kreml nach wie vor „Spezialoperation“ nennt, hat nun auch Russlands Hauptstadt erreicht. Doch für die Moskauer scheint dies kein Thema mehr zu sein.

Vor wenigen Tagen war das anders. Am frühen Dienstagmorgen wurden mindestens acht Drohnen in Randbezirken Moskaus von der Luftabwehr abgeschossen. Bilder von Explosionen, Rauchwolken am Himmel und Trümmerteilen der zerstörten Drohnen in den sozialen Netzwerken schreckten die Menschen auf. In einem Internet-Video sagte ein Mann: „Sie kommen immer näher und näher.“ Er filmte die anfliegenden Drohnen. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wahrscheinlich sollte ich mich verstecken.“

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Mehrere Wohngebäude wurden geringfügig beschädigt, zwei Menschen leicht verletzt. Russlands Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich und sprach von „Terror“. Kiew wiederum wies die Beschuldigungen zurück. Russlands Präsident Wladimir Putin forderte nach den Drohnenangriffen auf die Hauptstadt eine Verbesserung der eigenen Flugabwehr. Zwar habe das System in Moskau und im Moskauer Gebiet ordentlich funktioniert, aber es gebe Handlungsbedarf, sagte Putin im Staatsfernsehen.

In den sozialen Medien: Sorge um Absturz der Immobilienpreise

Jetzt ist der Alltag wieder zurück in Moskau. Von Angst, Panik gar – keine Spur. Schließlich seien die Schäden durch die Drohnen nur gering gewesen. Doch nicht wenige denken wie Alexander Chinstein, Duma-Abgeordnete der Kreml-Partei Geeintes Russland. Es sei „eine neue Realität, die begriffen werden muss.“ Auszugehen ist davon, dass die Zustimmung zu Putins „Spezialoperation“ eher zunehmen wird.

In Moskau sind die Drohnenangriffe zumindest öffentlich kein Thema mehr.
In Moskau sind die Drohnenangriffe zumindest öffentlich kein Thema mehr. © Getty Images | Contributor

Offen über die „neue Realität“ sprechen wollen die wenigsten Moskauer. Um so heftiger wird in der Anonymität der sozialen Netzwerke diskutiert. Einige machen Witze. „Wenn dieser Trend anhält, erwarten wir im dritten Quartal einen deutlichen Rückgang der Immobilienpreise“, schreibt jemand über den Elitevorort Rubljowka, wo Drohnen abgeschossen wurden. Ein anderer scherzt: „Das sind nur Wildgänse. Sie wussten nicht, dass über Moskau eine Flugverbotszone erklärt wurde.“ Die meisten aber diskutieren ernsthaft. „Der Krieg ist näher als wir dachten“, meint einer. Die Drohnen, „sie fliegen, wohin sie wollen und wie sie wollen ... Ausgezeichnete Sicherheit!“ In Großbuchstaben wird kommentiert: „DANKE SCHOIGU FÜR DEN SCHUTZ DES LANDES!!!“ Gemeint ist Sergej Schoigu, der russische Verteidigungsminister.

In einigen Posts geht es aber auch um grundsätzliche Fragen. „Vielleicht wird die Bedrohung der persönlichen Sicherheit unsere Führungskräfte dazu bringen, den Krieg zu beenden“, ist zu lesen. Und eine Nutzerin fasst zusammen: „Krieg ist beängstigend. Wann wird es FRIEDEN geben??“

Für Russen in den Grenzregionen ist der Krieg inzwischen spürbar

Für die meisten Bewohner Moskaus sind die Kämpfe in der Ukraine weit entfernt, für die Bewohner in den Grenzregionen sind sie Alltag. Der Gouverneur der Region Brjansk sagte, zwei Orte in Grenznähe seien von ukrainischen Truppen beschossen worden. Im benachbarten Kursk sollen laut Behörden mehrere Gebäude beschädigt worden sein. In Smolensk wurden zwei Orte von Langstrecken-Drohnen angegriffen, wie der dortige Gouverneur mitteilte. Smolensk liegt weiter nördlich und grenzt im Westen an Belarus. Die Ukraine dementiert, russisches Gebiet anzugreifen. Sie erklärte, dass russische Freiwilligenkorps dahintersteckten.

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Krieg gehört auch in der Region Belgorod zum Alltag. Erst am Donnerstag vermeldete das russische Verteidigungsministerium einen erneuten Angriff. „Ukrainische Terroreinheiten in der Stärke von zwei mit Panzern verstärkten Schützenkompanien haben versucht, im Gebiet der Ortschaft Nowaja Tawolschanka und des internationalen Pkw-Grenzübergangs Schebekino nach Russland einzudringen“, sagte einer der Sprecher. Nach offiziellen Angaben wurden im Laufe des Tages in der Region Belgorod insgesamt 13 Menschen verletzt.

Russland: Zwei Frauen wurden durch ukrainischen Beschuss getötet

Wjatscheslaw Gladkow, der Gouverneur der Region berichtete am Freitag, zwei Menschen seien getötet und zwei weitere verletzt worden, als ukrainische Streitkräfte eine Straße in der Stadt Maslowa Pristan nahe der ukrainischen Grenze bombardierten. „Splitter der Granaten trafen vorbeifahrende Autos. In einem von ihnen waren zwei Frauen unterwegs. Sie seien noch an Ort und Stelle ihren Verletzungen erlegen. Die Angriffe gingen auch in der Nacht weiter.

In Belgorod zerstörten ukrainische Drohnen angeblich mehrere militärische Ziele.
In Belgorod zerstörten ukrainische Drohnen angeblich mehrere militärische Ziele. © VIA REUTERS | FREEDOM OF RUSSIA LEGION

Inzwischen haben die Behörden mit der Evakuierung der Menschen aus Schebekino begonnen. Fotos zeigen evakuierte Bewohner, die in der Sport-Arena von Belgorod untergebracht werden, einer in Eile errichteten Notunterkunft. Laut Gouverneur Gladkow drängen die Bewohner von Schebekino in die inzwischen eingerichteten Notunterkünfte, wie er auf Telegram schrieb. „Das größte vorläufige Aufnahmezentrum der Stadt füllt sich nach und nach.“

Einer der Geflohenen erzählt: „Eine Rakete schlug am Ende unseres Hauses ein und eine weitere auf der anderen Seite. Alle Fenster waren zerbrochen, wir hörten den Einschlag jeder einzelnen Granate, sie fielen in großen Mengen auf die Stadt. Das ist schrecklich.“

LandUkraine
KontinentEuropa
HauptstadtKiew
Fläche603.700 Quadratkilometer (inklusive Ostukraine und Krim)
Einwohnerca. 41 Millionen
StaatsoberhauptPräsident Wolodymyr Selenskyj
RegierungschefMinisterpräsident Denys Schmyhal
Unabhängigkeit24. August 1991 (von der Sowjetunion)
SpracheUkrainisch
WährungHrywnja