Berlin. Um kaum eine ukrainische Stadt wurde so heftig gekämpft wie um Bachmut. Russen melden die Einnahme des Ortes – doch was ist sie wert?

Russland meldet nach monatelangen heftigen Kämpfen die Einnahme der ostukrainischen Stadt Bachmut. Kiew zieht das in Zweifel. Wie ist die Lage im „Verdun“ des Ukraine-Krieges? Haben die Russen einen militärischen Erfolg erzielt – oder sind sie in eine taktische Falle geraten? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wofür steht die Schlacht um Bachmut?

Die ostukrainische Stadt wurde zu einem Symbol des russischen Vernichtungskrieges. Wie Verdun im Ersten Weltkrieg tobten hier monatelange Artilleriegefechte mit einer gewaltigen Zerstörungskraft. Wenn ein russischer Tos-1-Mehrfachraketenwerfer eine Salve abgab, machte er eine Fläche von elf Fußballfeldern dem Erdboden gleich: Hitze und Druck brachten Häuser zum Einsturz und gaben feindlichen Truppen in ihren Verteidigungsstellungen kaum eine Überlebenschance.

Vor dem Krieg hatte die Stadt im Donbass rund 70.000 Einwohner. Heute lebt dort niemand mehr. Bachmut gleicht einer Mondlandschaft oder einer archäologischen Ausgrabungsstätte, die nur aus ein paar versprengten Steinhäufen besteht.

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Das US-Satellitenunternehmens Maxar Technologies zeigt zwei Fotos vom gleichen Ort, die den Grad der Zerstörung illustrieren. Auf der Aufnahme vom 8. Mai 2022 – vor Beginn der Kämpfe – sind eine Schule, Wohnblöcke und Straßen zu sehen. Dazwischen liegen viele Grünflächen. Auf dem Bild vom 15. Mai 2023 ragen nur noch einzelne Mauerskelette hoch. Bachmut wurde praktisch ausradiert.

Wurde Bachmut von den Russen erobert?

Am Sonnabend hatte zunächst der Chef der Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, die komplette Einnahme der Stadt verkündet. Später gab auch das reguläre Militär die Eroberung bekannt. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte die Verteilung von Orden an. Die ukrainische Führung bestreitet dies jedoch: Die eigenen Kräfte kontrollierten noch einen kleinen Teil der Stadt und kämpften weiter, hieß es. Allerdings geht auch das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) davon aus, dass Bachmut weitgehend in der Hand der Russen ist.

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Welche Rolle spielt die Privatarmee Wagner?

Für Russland kämpften vor allem Söldner der Privatarmee Wagner. Deren Chef Prigoschin rekrutierte Tausende Häftlinge in russischen Gefängnissen und versprach ihnen nach Ende des Fronteinsatzes die Freiheit. Er kündigte an, seine Einheiten zwischen dem 25. Mai und dem 1. Juni aus der Stadt zurückzuziehen und sie den regulären russischen Streitkräften zu übergeben.

Wie viele Opfer gibt es bislang?

Nach Schätzungen von US-Geheimdiensten sind bei den Kämpfen um Bachmut seit Dezember mehr als 20.000 russische Soldaten getötet worden. Bei etwa der Hälfte von ihnen handele es sich um Soldaten der Privatarmee Wagner, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby. Die meisten dieser Söldner seien ohne ausreichende Kampf- oder Gefechtsausbildung in den Krieg geschickt worden. Westliche Geheimdienste sprachen von „Kanonenfutter“.

Soldaten der Privatarmee Wagner schwenken die russische Flagge in einem beschädigten Gebäude der zerstörten Stadt Bachmut.
Soldaten der Privatarmee Wagner schwenken die russische Flagge in einem beschädigten Gebäude der zerstörten Stadt Bachmut. © dpa | Uncredited

Die Gesamtzahl der seit Dezember infolge der Kämpfe um Bachmut getöteten und verletzten Soldaten auf russischer Seite werde von den Geheimdiensten auf mehr als 100.000 geschätzt, fügte Kirby hinzu. Die ukrainische Regierung macht ebenso wenig Angaben zu eigenen Verlusten wie die russische. Nach inoffiziellen Schätzungen in Kiew wurden viermal so viele Russen getötet oder verletzt wie Ukrainer. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht.

Wie wichtig ist Bachmut im Krieg?

Der Militärexperte Carlo Masala hat eine eindeutige Antwort: „Strategisch ist die Stadt, soviel ist sicher, nicht von überragender Bedeutung.“ Mit Blick auf die Ukraine beschreibt Masala die Lage so: „Wenn es das Bestreben ist, dort möglichst viele Wagner-Soldaten zu binden, möglichst viele von ihnen zu töten, dann ist es sicherlich eine sinnvolle Schlacht. Gleichzeitig aber ist sie auch sinnlos, weil viele ukrainische Kräfte dort fallen, die möglicherweise für die Gegenoffensive im Frühjahr fehlen werden. Es ist also eine Frage der Perspektive.“

Warum ist der russische Einsatz in Bachmut so hoch?

Moskau braucht dringend einen Sieg, den es propagandistisch ausschlachten kann. Erstens, um die eigenen Truppen zu motivieren. Und zweitens, um die Bevölkerung nach fast 15 Monaten „militärischer Spezialoperation“ – das Wort „Krieg“ nimmt die russische Regierung nicht in den Mund – bei der Stange zu halten. Die Einnahme von Bachmut hätte für Putin vor allem einen hohen symbolischen Wert.

Wie geht es bei der Schlacht rund um Bachmut weiter?

Die Privatarmee Wagner ist nach Einschätzung westlicher Experten durch die heftigen Kämpfe um Bachmut geschwächt. Die Söldner seien durch die Abnutzung kaum in der Lage zu neuen Angriffen außerhalb der Stadt, teilte das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in Washington mit. Die Ukrainer verweisen unterdessen auf Geländegewinne außerhalb von Bachmut.

So hatte Wagner-Chef Prigoschin kürzlich selbst eingeräumt, dass die Flanken der russischen Verbände durch die Flucht von Soldaten zum Teil eingebrochen seien. Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar sprach sogar von einer Teil-Einkreisung russischer Kräfte. Kontrollieren die Ukrainer alle Nachschubwege rund um Bachmut, befänden sich die russischen Kräfte in einer taktischen Falle. Möglicherweise, so mutmaßen westliche Militärexperten, entpuppt sich die Einnahme von Bachmut für die Russen als Pyrrhussieg.

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