Der siebte Teil unserer Serie anlässlich der Gründung des FC Carl-Zeiss Jena vor 110 Jahren - Europacup 1981: Die Jenaer Fußballer und das Wunder gegen den AS Rom, Dominanz gegen Valencia, Glück gegen Newport und ein Lissaboner Aprilscherz.

Jena. Die Gipfel der Alpen sind in Nebelschwaden eingehüllt. Nur hier und da ragt etwas schneebedeckter Felsen heraus. Ernst Schmidt, Klubvorsitzender des FC Carl Zeiss Jena, schaut aus dem Fenster des Flugzeuges. Neben ihm: Hans Meyer, der Trainer. "Hans", sagt Schmidt, "ich glaube, die Alpen sehen wir in unserem Leben nie wieder". Beim Rückflug vom 0:3 beim AS Rom in der ersten Runde des Europapokals der Pokalsieger ist die Stimmung im Jenaer Lager gedrückt. Das Aus auf europäischem Parkett scheint besiegelt.

Der AS Rom hat weiland eine Weltklasse-Mannschaft. Falcao, der brasilianische Weltfußballer. Oder Carlo Ancelotti, der brillante Offensivmann. Inzwischen ist er Trainer von Paris St. Germain. Und Franco Tancredi, der Hüter des römischen Tores. Er wird in Jena beim Rückspiel die besondere Bekanntschaft mit der hiesigen schreibenden Zunft machen.

Die Giallorossi überwältigt von Carl Zeiss

Das Essen ist angerichtet. Im Schwarzen Bären sollten Roms Kicker nach der Partie in Jena speisen. Der Plan ist eng gestrickt, steht doch noch für den Abend der Rückflug nach Italien an. Ernst Schmidt bereitet das Sorgen, weshalb er seinen römischen Kollegen konsultiert. "Ich fragte ihn, was wir denn machen, wenn es Verlängerung gäbe. Er entgegnete mir: Herr Schmidt, keine Sorge, es wird keine Verlängerung geben. Hinterher bin ich zu ihm und sagte: Sie hatten recht, es bedurfte keiner Verlängerung. Sie können pünktlich ihr Abendessen einnehmen."

Jena siegt 4:0. Das Wunder.

"I giallorossi travolti dal Carl Zeiss" - Die Giallorossi (AS Rom) überwältigt von Carl Zeiss. So titelt das italienische Blatt nach der Demütigung. Krause. Lindemann. Bielau & Bielau. Vier Tore kassiert jener Tancredi. Hinter seinem Tor steht Peter Palitzsch. Das Jenaer Sportreporter-Urgestein, das den Klub seit den 1950er Jahren begleitete, hat dort seinen Stammplatz. Bis zum 4:0, so erzählt es Palitzsch später, habe er nicht nur mitgeschrieben, sondern auch den Balljungen gespielt. Und nach dem 4:0 habe er die Schüsse stets passieren lassen. Das wiederum bringt Tancredi auf die Palme. Lächelnd erträgt Palitzsch die Reformante italiano.

Die Spiele gegen Rom stellen den Auftakt für das erfolgreichste Jenaer Europapokal-Jahr dar. Grundlage ist der schönste Erfolg, den man als Jenaer haben kann: Mit 3:1 besiegte man den Thüringer Rivalen Rot-Weiß Erfurt nach Verlängerung im FDGB-Pokalfinale 1980. Erfurts Klubvorsitzender Werner Günther gratulierte hinterher Jena "aufrichtig zu diesem Triumph". Auf nationaler Ebene bleibt es der letzte - bis heute.

"Kein Mensch weiß, wo dieses Ding liegt."

Auf dem Weg zum Europacup-Endspiel packte man auch den Cup-Verteidiger FC Valencia bei den Hörnern und beherrschte die Spanier in allen Belangen mit einem 3:0 (Rückspiel: 0:1). Foto: Peter Poser
Auf dem Weg zum Europacup-Endspiel packte man auch den Cup-Verteidiger FC Valencia bei den Hörnern und beherrschte die Spanier in allen Belangen mit einem 3:0 (Rückspiel: 0:1). Foto: Peter Poser © zgt

Nach Rom kommt Valencia, der Cup-Verteidiger. Die haben den argentinischen Star Mario Kempes. Jena hat Andreas Krause. Der übernimmt für den Südamerikaner die mannhafte Sonderbewachung. Zur Pause führt Jena 3:0, beherrscht die Spanier in allen Belangen - und Kempes lässt sich entnervt auswechseln. 3:1 heißt es am Ende, im Rückspiel verliert der FCC 0:1. Und Kempes? Wieder trifft auf den Krause, genannt Eisenfuß. Wieder bleibt er zur Pause in der Kabine.

"Du besiegst AS Rom. Du besiegst den FC Valencia. Und dann kommt Newport County. Kein Mensch weiß, wo dieses Ding liegt." Dieses Zitat stammt von Lothar Kurbjuweit aus einer Nachbetrachtung auf jene Europapokalserie. Newport County, walisischer Dritt-Divisionär aus der englischen Liga, wohnt im Interhotel in Gera. Fasching ist gefeiert worden - was sich bis zu den Jenaer Spielern herumgesprochen hat. Keith Oakes, der Kapitän, erklärt im Vorfeld, mit einem 0:2 aus eigener Sicht wäre man in Jena zufrieden.

Doch Tommy Tynan wird zum Jenaer Albtraum. 2:2. Das Aus droht. Doch an jenem Frühlingsabend vor 18000 frenetischen Fans im Somerton-Park von Newport kommt es zur legendären Schlacht zwischen zwei kampfstarken Mannschaften. Newport dominiert. Newport greift an. Wieder und immer wieder. Wenn dieses Spiel normal ausgeht, sagt Kurbjuweit, verlieren wir dort 0:6. Doch Jena gewinnt. 1:0. Und Kurbjuweit trifft per Freistoß aus der Distanz. Held des Abends ist Hans-Ulrich Grapenthin, der Tausendhändige. Jenas Torwächter zerröchelt alle Versuche der Waliser, bringt Tynan, Oakes, Gwyther zur Verzweiflung. Alles Glück dieser Europapokalsaison hat Jena an diesem Abend unter dem nur dunkel flackernden Flutlicht in Wales aufgebraucht.

500 auserlesene Jenaer dürften zum Finale nach NRW

Für Benfica Lissabon im Halbfinale braucht es dann kein Glück. "Ein attraktives Mittelfeldspiel ist brotlose Kunst, wenn das Angriffsspiel nicht torgefährlich wird", sagt Ex-Benfica-Star Eusebio nach dem 0:2 seiner Lissaboner in Jena. Als "geradlinig und rationell" bezeichnet die zeitgenössische Presse den Jenaer Fußball. Das 2:0 von Jürgen Raab gehört wohl zu den schönsten Toren der Vereinsgeschichte, als sich die Jenaer von der Mittellinie über die rechte Seite zur Grundlinie kombinieren, der Flanke dann haargenau auf Raabs Kopf landet.

Derlei bringt Jenas Anhang zur Verzückung - und lässt alle schon nach dem Hinspiel vom Finale träumen. Zudem gilt es, sich für einen Aprilscherz des portugiesischen Radiosenders "Comercial" zu revanchieren. Die haben am 1. April vermeldet, Benfica stünde kampflos im Finale. Jena könne wegen zu vieler Verletzter nicht antreten.

In Lissabon erwartet die Thüringer dann ein Mannschaftshotel mit direkter Flughafenanbindung. Trotz unruhigen Schlafes und 80.000 lautstarken Schlachtenbummlern behalten die Jenaer kühlen Kopf. Das 0:1 aus Jenaer Optik reicht. Finale! Radio "Comercial" hat das sicher auch vermeldet.

Düsseldorf. Ausgerechnet Düsseldorf. Der Finalort hätte wohl kaum schlechter gewählt sein können. Jena gegen Tiflis, zwei Mannschaft aus dem abgeschotteten Ostblock müssen im NSW, im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, ran. Gerade 500 auserlesene Jenaer dürfen mit. Die meisten hatten vorher mit Fußball nichts am Hut, sagt Trainer Hans Meyer 32 Jahre später. Keine 4000 Zuschauer verlaufen sich im Rheinstadion zu diesem Endspiel. Eine Partie, die in Prag oder Budapest zum Volksfest geworden wäre. Der ein oder andere Überläufer von Ost nach West ist auch da. BFC-Dynamo-Spieler Lutz Eigendorf beispielsweise, der inzwischen für den 1. FC Kaiserslautern spielte. Westdeutsche Anwerbeversuche bei Jenaer Spielern sind aber bis heute nicht belegt.

Das Finale ausgerechnet am Gründungstag des Klubs

Das Trainergespann Hans Meyer und Helmut Strein führte den FC Carl Zeiss Jena 1981 bis ins Europacup-Endspiel. Foto: Peter Poser
Das Trainergespann Hans Meyer und Helmut Strein führte den FC Carl Zeiss Jena 1981 bis ins Europacup-Endspiel. Foto: Peter Poser © zgt

Das Finale ist ein Duell auf Augenhöhe. Am 13. Mai 1981. Ausgerechnet am Tage der Gründung des Klubs. Jena geht in Front, Gerhard Hoppe trifft mit dem rechten Außenrist. "Dann wollten wir auftreten, wie Europapokalsieger auftreten - und wir sind alle nach vorn gerannt und wollten das 2:0 machen", sagt Hans Meyer später. Stattdessen kassieren die Jenaer die Tore. Guzajew und Darasselija zertrümmern Jenas großen Traum. In der Heimat lässt Zeiss-Kombinatschef, Genosse Generaldirektor Wolfgang Biermann, das im Volkshaus vorbereitet Bankett absagen.

Die richtige Würdigung jener Leistung in dieser Saison 1980/81 haben Jenas Spieler weiland nicht erfahren. Europapokalfinalist ist eben nicht Europapokalsieger.

Als ein Teil der Mannschaft 2001 zum 20-jährigen Jubiläum nach Tiflis reiste, wurden sie dort euphorisch gefeiert. Lothar Kurbjuweit weilte im Oktober 2012 zum 100. Geburtstag von Newport County in Wales und erhielt dort stehende Ovationen. Derlei Anekdoten sind es, die belegen, dass der FC Carl Zeiss Jena vor allem in dieser Final-Spielzeit deutliche Spuren in Europa hinterlassen hat. Das 0:3 in Rom, was wie ein Ende wirkte, entpuppte sich als Anfang. Die in Nebel verhüllten Gipfel der Alpen haben die Jenaer doch noch öfter sehen dürfen - auch wenn ihnen selbst die Eroberung des Gipfels versagt blieb.

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