Berlin. Reisepass verlängern, Auto anmelden oder Kindergeld beantragen – Behördengänge nehmen viel Zeit in Anspruch. Das soll sich bald ändern.

Egal ob man in einer großen Stadt mit mehreren Bürgerämtern wohnt oder in der Kleinstadt: Behördengänge sind in Deutschland ungefähr so beliebt wie Besuche beim Zahnarzt. Das liegt häufig daran, dass die Öffnungszeiten in die Arbeitszeit der Bürger fallen und man sich ungern frei nimmt, um sein Auto umzumelden oder einen neuen Personalausweis zu beantragen.

Zudem dauern die Erledigungen in deutschen Ämtern meist viel zu lang. Das hat jetzt eine exklusive Umfrage dieser Redaktion ergeben. Mehr als 5000 Menschen wurden befragt, wie sie die Besuche auf dem Amt erleben und wie viel Zeit diese in Anspruch nehmen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Mehr als ein Viertel der Deutschen braucht für eine einfache Erledigung im Rathaus mehr als zwei Stunden Zeit.

Nur 30 Prozent geben an, dass private Behördengänge inklusive Anfahrt und Wartezeit durchschnittlich ein bis unter zwei Stunden in Anspruch nehmen. 15 Prozent der Befragten verbringen etwas unter drei Stunden in einer deutschen Behörde. Bei rund jedem Zehnten nimmt der Behördengang sogar drei Stunden oder mehr in Anspruch.

Bei Standardüberweisungen wie Kindergeld soll der Staat künftig von sich aus zahlen

Viel zu lang, findet unter anderem die Digitalpolitikerin Misbah Khan (Grüne) und fordert: „Zukünftig werden langwierige Behördengänge durch rechtzeitige Erinnerungen aufs Handy der Vergangenheit angehören. Stattdessen sollen proaktive Zahlungen von staatlichen Leistungen wie zum Beispiel dem Elterngeld und unkomplizierte digitale Verfahren der Standard sein.“ Doch davon ist die Bundesregierung noch weit entfernt. Zwar hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Mai ein Gesetz zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG 2.0) durchs Kabinett gebracht.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich für die Digitalisierung der Verwaltung viel Zeit genommen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich für die Digitalisierung der Verwaltung viel Zeit genommen. © dpa | Christoph Soeder

Damit sollen Behördenleistungen von Bürgern und Unternehmen künftig online erledigt werden. Doch vor der Sommerpause wird das OZG nicht mehr verabschiedet, denn in den Ländern regt sich Widerstand. In der nächsten Bundesratssitzung am 7. Juli planen einige Länder Änderungsvorschläge für Faesers Gesetz einzureichen. Sie halten die Vorschläge der SPD-Ministerin für zu weitreichend und zu kompliziert.

Und was wünschen sich die Deutschen? Bei der Frage, welche Maßnahmen die Deutschen am effektivsten fänden, um weniger Zeit für Behördengänge zu investieren, antwortet fast jeder Zweite, dass es mehr digitale Optionen geben sollte (46 Prozent). Etwas weniger als ein Drittel der Deutschen hält eine Vereinfachung von Anträgen für eine geeignete Maßnahme. Rund jeder Zehnte hält es für eine gute Idee, wenn in den Behörden mehr Mitarbeiter für die Anliegen der Bürger zuständig wären.

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Stellvertretend für die vielen Behörden in den Städten und Gemeinden und auf den Ebenen der Länder ist das Bundesverwaltungsamt (BVA). Die Mitarbeiter erledigen unterschiedliche Verwaltungsaufgaben des Bundes. Sie fordern zum Beispiel BAföG-Darlehen zurück oder beglaubigen Urkunden und sind für die Reisekostenabrechnung aller Ressorts der Bundesverwaltung zuständig. Aus dem Bundesverwaltungsamt heißt es auf Nachfrage, man unterstütze den Wunsch der Bürgerinnen und Bürger nach mehr digitalen Optionen, um Behördengänge zu reduzieren. Unter anderem das Ausbildungsdarlehen Bafög (Bundesausbildungsförderungsgesetz) lasse sich bereits komplett online beantragen.

Es kostet viel Geld, die Ämter digital auf den neuesten Stand zu bringen

Zugleich räumt die Behörde, die dem Innenministerium unterstellt ist, ein, dass „die Umsetzung digitaler Verwaltungsangebote bei weitem noch nicht abgeschlossen“ sei. Aktuell arbeite man daran, über das Bundesportal die Online-KFZ-Anmeldung sowie weiteren 15 Leistungen im Rahmen des OZG verfügbar zu machen. Wie immer, wenn alle staatlichen Ebenen vom Rathaus bis zum Innenministerium mitwirken, verzögern die umständlichen Absprachen die Digitalisierung. „Eine Beschleunigung dieser Abstimmungsprozesse im Interesse der Bevölkerung wäre wünschenswert“, heißt es aus dem BVA.

Häufig sind sich die unterschiedlichen staatlichen Ebenen nicht einig, wie die Infrastruktur für den Online-Prozess aussehen soll und die Angebote kosten Geld: „Der Aufbau und das Vorhalten von leistungsfähigen und sicheren und digitalen Angeboten kostet viel Geld, um die Daten von Bürgerinnen und Bürger und die Systeme vor Angriffen und Missbrauch zu schützen“, heißt es aus der Bundesbehörde.

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Bis heute sind nur 126 von 575 OZG-Leistungen bundesweit nutzbar und insbesondere die kleinen Kommunen hinken häufig mit ihrem Angebot von Online-Dienstleistungen hinterher. Die Experten aus dem Bundesverwaltungsamt machen mehrere Vorschläge, damit das Ganze schneller geht: Arbeitsprozesse in der Verwaltung müssten ausschließlich aus Sicht des Bürgers betrachtet und in dessen Interesse geändert werden. Auf der anderen Seite sollte ein Arbeitsablauf wie die Pass-Nachbestellung standardisiert und automatisiert werden, um die Beschäftigten der Verwaltung von unnötigen Arbeiten zu entlasten. Bisher stehen rechtliche Regelungen im Weg, wie zum Beispiel der Zwang zur händischen Unterschrift. „Hier sollte der Gesetzgeber elektronische Signaturen ermöglichen“, schlägt die Bundesbehörde vor. Klar ist laut BVA: „Der politische Wille allein reicht nicht, die Politik muss die Personal- und Finanzmittel bereitstellen.

Einen neuen Pass gibt es bald schon per Post

Bürger und Politiker sehen die Digitalisierung von Behörden als „historische Chance“. Und obwohl Faeser viel Kritik für ihr verzögertes OZG 2.0 einsteckt, gibt es auch Lichtblicke: Die Grünen-Abgeordnete Khan kündigt an, dass kommende Woche voraussichtlich das neue Passgesetz im Bundestag beschlossen wird. Damit werden die notwendigen Behördengänge zur Passbeantragung halbiert, denn ein ausgestellter Pass kann in Zukunft auf dem Postweg zugestellt werden.

Civey hat für unsere Redaktion vom 30. Mai bis 26. Juni 2023 online mehr als 5000 Bundesbürgerinnen und -bürger ab 18 Jahren befragt. Die Ergebnisse sind aufgrund von Quotierungen und Gewichtungen repräsentativ unter Berücksichtigung des statistischen Fehlers von 2,5 Prozent (Gesamtergebnis).

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