Bachmut. Bachmut liegt in Schutt und Asche: Trotzdem gehen die Kämpfe dort weiter. Kiew macht sich Hoffnung auf die Befreiung. Aus gutem Grund.

Es ist eine symbolträchtige Schlacht, die in die ukrainische Geschichte eingehen wird: Seit beinahe einem Jahr wird in der Region Donezk heftig um Bachmut gekämpft. Ende Mai, fast zehn Monate nach Beginn der russischen Invasion, verkündeten die Wagner-Söldner die Einnahme der Stadt. Doch schon zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass die Ukrainer gute Chancen haben würden, nördlich und südlich erneut vorzurücken, um die Russen in der Stadt perspektivisch zur Hälfte zu umzingeln.

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Die Ukrainer versprachen sich davon einen strategischen Vorteil. Und tatsächlich: Inzwischen erweist sich die Verteidigung von Bachmut, wo kaum ein Gebäude im Laufe der Kämpfe nicht beschädigt wurde, für die russischen Streitkräfte zunehmend als schwierig. Dahinter steht ein Plan, der in der Ukraine als „Syrskyj-Plan“ bekannt geworden ist – benannt nach dem Kommandeur der ukrainischen Landstreitkräfte.

Oleksandr Syrskyj war bereits für die erfolgreiche Verteidigung von Kiew sowie für die Gegenoffensive im Bezirk Charkiw verantwortlich. Nun führt er die ukrainischen Truppen in einem Sektor an, zu dem auch Bachmut gehört und ist häufig bei den Soldaten vor Ort.

Ukrainische Streitkräfte: Frage nach Kampf oder Rückzug

Seit Jahresbeginn wurde unter internationalen Experten wiederholt diskutiert, ob die Kämpfe um Bachmut überhaupt einen strategischen Sinn ergeben. Denn durch die blutige Einnahme der Stadt hat Russlands Armee keinen besonders wichtigen logistischen Knotenpunkt erobert, den sie für das weitere Vorankommen nutzen kann. Doch es geht um mehr.

Ein ukrainischer Soldat der 10. Sturmbrigade Edelweiß feuert die Munition einer D-30-Haubitze auf russische Stellungen an der Frontlinie.
Ein ukrainischer Soldat der 10. Sturmbrigade Edelweiß feuert die Munition einer D-30-Haubitze auf russische Stellungen an der Frontlinie. © dpa | Libkos

Bachmut ist für Moskau eher innenpolitisch von Bedeutung. Seit der Besatzung der Stadt Lyssytschansk im Juli 2022 hatten die Russen fast ein Jahr lang keinen größeren Erfolg mehr vorweisen können – ein Sieg wurde dringend gebraucht. Für die Ukraine war die Frage eher, ob es nicht besser wäre, sich aus Bachmut zurückzuziehen und dadurch eigene Kräfte zu sparen. Doch die Kiew entschied sich dagegen. Aus zwei Gründen.

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Zum einen hätte der Rückzug aus Bachmut bedeutet, dass weitere Ortschaften und Städte in den Fokus der russischen Armee gerückt wären. Zum anderen rechnete General Syrskyj damit, dass die Ukrainer den Russen wie einst bei den Kämpfen um Sewerodonezk und Lyssytschansk große Verluste zufügen könnten – die geschwächten russischen Truppen spielten rückwirkend eine wichtige Rolle bei der Befreiung von Charkiw.

Befreiung von Bachmut wäre großer psychologischer Erfolg

Die Rechnung von Syrskyj scheint aufzugehen: Zwar haben die ukrainischen Streitkräfte haben die beiden Schlüsselorte Berchiwka nördlich und Klischtschijiwka südlich von Bachmut noch nicht befreien können. Doch es ist ihnen gelungen, viele der strategischen Höhen einzunehmen – und von dort aus beschießen sie jetzt die Russen in Bachmut.

Doch ein Selbstläufer ist die Rückeroberung der Stadt – gerade in Berchiwka – nicht. „Dorthin haben die Besatzer ihre am besten vorbereiteten Einheiten geholt“, schreibt der Militärjournalist Bohdan Myroschnykow auf Telegram. „Es sind die Russen mit Kampferfahrung aus Syrien oder Tschetschenien, deren Verteidigung ist recht kompetent aufgebaut.“ Südlich von Bachmut rücken die Ukrainer jedoch immer weiter voran.

Ein ukrainischer Soldat trägt eine 155-mm-Granate zu einer Panzerhaubitze
Ein ukrainischer Soldat trägt eine 155-mm-Granate zu einer Panzerhaubitze "Bohdana", bevor er auf russische Stellungen feuert. © dpa | Evgeniy Maloletka

„Bachmut ist im Moment eine vielversprechende Richtung für die Ukraine“, sagt Oleksij Melnyk, Oberstleutnant a.D. der ukrainischen Armee und Co-Direktor der Programme für internationale Sicherheit an der Kiewer Denkfabrik Zentr Rasumkowa, dieser Redaktion. „Sollte es den Ukrainern in vergleichsweise kurzer Zeit gelingen, diesen von der russischen Propaganda hochgelobten Sieg zunichte zu machen, wäre das ein gewaltiger politischer und psychologischer Erfolg.“

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Experte: Russen stehen vor gleicher Gefahr wie einst die Ukrainer

Melnyk war früher erster Berater des Verteidigungsministeriums in Kiew, er sieht eine Chance auf Erfolg bei der Umzingelung und Rückeroberung der Stadt. „Bachmut mag keinen riesigen strategischen Wert haben, doch die Russen haben dort sehr viele Kräfte verbraucht.“ Natürlich hätten auch die Ukrainer dort Verluste erlitten, doch neue westliche Waffensysteme sowie für die Gegenoffensive vorbereitete Brigaden wurden um Bachmut herum praktisch nicht gesichtet. Ein gutes Zeichen, glaubt Melnyk.

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„Außerdem gehen die Ukrainer völlig anders als die Russen vor, die in der Stadt selbst ein Haus nach dem anderen gestürmt haben“, betont er. „Ich kenne kaum jemanden, der den Sinn der ukrainischen Operation bei Bachmut noch in Frage stellt“. Unmittelbar bevor steht die Befreiung deshalb aber nicht – auch wenn sich diese Operation im Gegensatz zu den russischen Angriffen auf die Stadt mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit nicht mehr als neun Monate in die Länge ziehen wird.

„Unsere eigenen Kräfte waren dort dem Risiko einer vollen Einkreisung ausgesetzt“, sagte Oleksandr Mussijenko, ein prominenter ukrainischer Militärexperte, dem ukrainischen Fernsehen. „Nun stehen einige russische Truppen potenziell vor der gleichen Gefahr.“ Mussijenko warnte allerdings vor verfrühtem Optimismus., denn Moskau habe bereits mit der Verlegung von Reserven in die Stadt begonnen. „Man muss vorsichtig bleiben bei den Prognosen.“

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