Berlin. “Sind wir noch bereit, uns anzustrengen?“ CDU-Chef Merz will diejenigen belohnen, die mehr arbeiten wollen. Wie, sagt er im Interview.

Abgeordnete von CDU und CSU sind an diesem Donnerstag in die Heimatregion von Friedrich Merz gereist. Bei einer Klausurtagung im sauerländischen Schmallenberg will die Fraktionsspitze ein Konzept beschließen, wie Deutschland aus der Krise finden kann. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der Chef von CDU und Unionsfraktion, welche Entlastungen er als Kanzler auf den Weg bringen würde.

Herr Merz, warum profitiert die Union nicht vom Ärger über die Ampelregierung? Weshalb laufen die Leute direkt zur AfD?

Friedrich Merz: Wir liegen seit Monaten in den Umfragen auf Platz eins, ohne die Union könnte in Deutschland nicht regiert werden.

25 Prozent plus – geben Sie sich damit zufrieden?

Merz: Gut, wir könnten noch ein bisschen zulegen. Daran arbeiten wir gemeinsam. Außergewöhnlich ist aber, dass der Kanzler mit seiner Partei hinter der AfD auf Platz drei liegt. Das hat es noch nie gegeben.

Sie haben die Union als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnet. Fischen Sie nach Stimmen am rechten Rand ?

Merz: Wie kommen Sie denn darauf? Jede Opposition muss jederzeit eine Alternative zur jeweiligen Bundesregierung sein, das ist doch völlig klar.

Die Formulierung hat Irritationen ausgelöst. Halten Sie trotzdem daran fest?

Merz: Als größte Oppositionspartei führen wir eine Auseinandersetzung mit dieser Bundesregierung, wir erarbeiten eigene, bessere Lösungsvorschläge. Entscheidend ist, dass wir thematisch als „CDU pur“ wahrgenommen werden.

Sprechen wir über die Substanz. Wie wollen Sie der deutschen Wirtschaft aus der Stagnation helfen?

Merz: Wir werden bei unserer Fraktionsklausur im Sauerland ein Konzept verabschieden, das drei Schwerpunkte hat. Erstens: Wir müssen ernst machen mit dem Bürokratieabbau. Dieses Land erstickt in Bürokratie. Das zeigt nicht nur das völlig verkorkste Heizungsgesetz, sondern auch die angebliche Einigung der Ampel zur Kindergrundsicherung: 2,4 Milliarden sollen ausgegeben werden – 500 Millionen davon für zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Das zeigt den ganzen Irrsinn! Bei der Kindergrundsicherung wird der bürokratische Aufwand so hoch sein, dass am Ende des Tages bei den Kindern kaum etwas ankommt. Es darf keine neuen Gesetze geben, die mehr Bürokratie schaffen!

Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, will das Heizungsgesetz der Ampel rückgängig machen.
Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, will das Heizungsgesetz der Ampel rückgängig machen. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Machen Sie die Kindergrundsicherung rückgängig, falls Sie regieren?

Merz: Wir machen in jedem Fall das Heizungsgesetz dieser Bundesregierung rückgängig. Bei der Kindergrundsicherung schauen wir, was tatsächlich kommt. Unsere Meinung zu dem Thema ist völlig klar: Nicht mehr Transferleistungen für die Eltern, sondern mehr Bildung für die Kinder ist der richtige Weg. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung für Bildung und Integration für Kinder. Kein Kind soll in Deutschland in Armut aufwachsen – dafür brauchen wir gute Kindertagesstätten, Schulen und frühkindliche Bildung.

Halten Sie Kinderarmut für ein Migrationsproblem?

Merz: Christian Lindner hat zutreffend auf die Zahlen zur Kinderarmut hingewiesen. Wir sind der Überzeugung, dass die begrenzten Mittel aus öffentlichen Kassen zielgenau bei den Kindern ankommen müssen, die Förderung und bessere Bildung am meisten brauchen. Immer höhere soziale Transferleistungen lösen nicht das Problem, das überhaupt erst zu Kinderarmut führt, und das ist mangelnde Bildung. Aber lassen Sie mich noch auf den zweiten Schwerpunkt in unserem Konzept eingehen: die hohen Energiekosten ...

… die auch die Regierung bekämpft.

Merz: Wir müssen vor allen Dingen das Energieangebot ausweiten. Das heißt im Klartext, die Bundesregierung muss schleunigst die drei Kernkraftwerke wieder ans Netz nehmen, die im April willkürlich abgeschaltet wurden. Dazu brauchen wir eine Entlastung bei der Stromsteuer und den Netzentgelten. Und der dritte Schwerpunkt ist vielleicht der wichtigste.

Und zwar?

Merz: Wir müssen raus aus dieser ganzen Verbotsdiskussion, wenn es um die Umwelt- und Klimapolitik geht. Wir werden nur mit 360 Grad Technologieoffenheit erfolgreich sein. Die Ampel darf nicht vorgeben, dass nur noch E-Autos die richtige Mobilität und Wärmepumpen die richtige Heizung sind. Der Staat muss Ziele setzen, es aber den Privathaushalten und den Unternehmen überlassen, welche technische Lösung sie wählen. Ich will noch einen Schritt weiter gehen: Über Kohlendioxid wird immer nur als Schadstoff gesprochen. Wir wollen, dass daraus eine Rohstoffdiskussion wird. CO2 ist erst dann ein Schadstoff, wenn es in gasförmigem Zustand in der Atmosphäre angekommen ist. Also darf es da gar nicht erst hin.

Klingt ein bisschen nach Science Fiction.

Merz: Die Technologien dafür gibt es. Das Wiederverwerten von CO2 wird in Deutschland leider nicht gern gesehen, und das Speichern ist weitflächig verboten. Andere Länder sind viel weiter, und der Bundeswirtschaftsminister steht staunend davor, anstatt die Anwendung dieser Technologien auch hier zu ermöglichen.

Sie wollen CO2 speichern statt vermeiden?

Merz: Kohlenstoff ist ein werthaltiger Grundstoff für große Teile unserer Industrie, die Kunststoffe, Düngemittel oder Medikamente herstellen.

Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit Jörg Quoos und Jochen Gaugele.
Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Gespräch mit Jörg Quoos und Jochen Gaugele. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Und die Klimaziele?

Merz: Mit Vermeidung allein werden wir die Klimaziele jedenfalls nicht erreichen. Wir legen jetzt den Hebel um und sprechen nicht mehr über Verbote. Wir wollen Kreislaufwirtschaft ernsthaft denken, auch mit Kohlenstoff. Damit hätte Deutschland die Chance, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Wir tragen zur Lösung des Klimaproblems bei, und die deutsche Wirtschaft kann weltweit Standards setzen mit innovativen Klima-Technologien.

Die Ampelregierung will Unternehmen steuerlich entlasten – mit dem sogenannten Wachstumschancengesetz. Das müsste ganz in Ihrem Sinne sein.

Merz: Ich sage voraus: Der Bund wird für das sogenannte Wachstumschancengesetz die Zustimmung der Länder nicht bekommen. Der Bund hätte eine bessere Möglichkeit, eine Entlastung für Mittelstand und Industrie zu realisieren: Er könnte sofort den Soli abschaffen …

... den nur noch wenige zahlen.

Merz: Über den Solidaritätszuschlag werden jährlich immer noch zehn Milliarden Euro erhoben. Ja, von einer Abschaffung profitieren auch einige besserverdienende Privathaushalte, aber ganz überwiegend würde es Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften entlasten. Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist die einfachste und beste Möglichkeit, Unternehmen schnell zu helfen. Wenn die Regierung es ernst meint mit Entlastung, sollte sie diese Chance ergreifen.

Müssen die Menschen in Deutschland länger arbeiten, um den Wohlstand zu sichern? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm plädiert dafür, das Rentenalter automatisch anzuheben, wenn die Lebenserwartung steigt.

Merz: Wir sollten in erster Linie auf Freiwilligkeit und Anreize setzen – etwa durch höhere Zuverdienstgrenzen für Rentner. Es soll sich auszahlen, dem Arbeitsmarkt erhalten zu bleiben. Uns geht es darum, dass diejenigen belohnt und nicht bestraft werden, die sich mehr anstrengen wollen. Deswegen machen wir auch den Vorschlag, Überstunden steuerfrei zu stellen. Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in diesem Land ist heute so hoch wie vor 30 Jahren, als sieben Millionen Beschäftigte weniger im Arbeitsmarkt waren.

Dahin wollen Sie zurück?

Merz: Eines ist jedenfalls klar: Unser Wohlstand lässt sich nicht mit bedingungslosem Grundeinkommen und 4-Tage-Woche bei vollem Gehalt aufrechterhalten. Wir haben im Bundesvorstand auch über den Sport gesprochen: Die Männer scheitern bei der Fußball-WM, die DFB-Frauen scheiden auch früh aus, und von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft bringt Deutschland zum ersten Mal keine Medaille nach Hause. Für mich ist das symptomatisch. Wir müssen über die grundsätzliche Haltung in unserem Land reden: Sind wir noch bereit, uns für unseren Wohlstand und unsere Alterseinkommen anzustrengen?

Markus Söder (CSU, r), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, wollen im Spätsommer 2024 über die Kanzlerkandidatur der Union entscheiden.
Markus Söder (CSU, r), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, wollen im Spätsommer 2024 über die Kanzlerkandidatur der Union entscheiden. © dpa | Michael Kappeler

Sie fragen, ob die Deutschen faul geworden sind?

Merz: Das ist keine Frage der Faulheit. Deutschland hat eine schlechte Regierung, die Leistung bestraft: Jetzt liegen die Sozialversicherungsabgaben erstmals über 40 Prozent des Einkommens. Wer den Eindruck bekommt, dass es keinen Unterschied macht, ob er mehr oder weniger arbeitet, wird sich weniger anstrengen. Das Ergebnis ist eine abnehmende Wirtschaftsleistung. Wir müssen also mehr über Leistungsgerechtigkeit reden.

Wenn alle Substanz nicht hilft, die Sie aufbieten wollen, und die AfD bei den Landtagswahlen im Osten triumphiert – wer soll dann regieren?

Merz: Es wird in keinem Bundesland eine Mehrheit für diese Partei geben.

Was bedeutet das für den Umgang mit der Linkspartei?

Merz: Wir werden darum kämpfen, dass die CDU in allen drei Ländern – Thüringen, Brandenburg und Sachsen – vorne liegt und eine Mehrheit ohne die politischen Ränder möglich ist.

Das ist nicht sehr wahrscheinlich.

Merz: Wir wollen die Landtagswahlen im Osten gewinnen. Und was wir tun, wenn uns das nicht gelingen sollte, das überlegen wir uns danach.

Die CDU hat einen sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss getroffen, der die Zusammenarbeit mit AfD und Linkspartei gleichermaßen verbietet. Ist Ihre Brandmauer nach links so massiv wie nach rechts?

Merz: Wir haben den Unvereinbarkeitsbeschluss und der gilt.

ParteiChristlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)
Gründung26. Juni 1945
IdeologieChristdemokratie, Konservatismus, Liberalismus, Europäische Integration
VorsitzenderFriedrich Merz (Stand: Dezember 2023)
Fraktionsstärke152 Abgeordnete im Bundestag (Stand: Dezember 2023)
Bekannte MitgliederAngela Merkel, Ursula von der Leyen, Jens Spahn

Die Union will im kommenden Jahr über ihren Kanzlerkandidaten entscheiden – machen Sie das vor oder nach den Ost-Wahlen im September?

Merz: Das ist eine Abwägungsfrage, die wir auch mit den ostdeutschen Landesverbänden besprechen müssen. Ich selbst rechne von der Bundestagswahl an rückwärts: Wir brauchen gut ein Jahr Vorlauf, um eine Kampagne auf den Kandidaten der Union zuzuschneiden. Also entscheiden wir gemeinsam im Spätsommer 2024.

Sie hätten gerne Klarheit vor den Ost-Wahlen – anders als CSU-Chef Söder.

Merz: Markus Söder und ich sind uns einig, dass diese Frage im Spätsommer 2024 gemeinsam entschieden wird. 2021 wussten wir fünf Monate vor der Bundestagswahl immer noch nicht, wer unser Kandidat ist. Das hat uns den Sieg gekostet, diesen Fehler werden wir nicht wiederholen.

Wie fällt die Entscheidung? Mehrere Ministerpräsidenten reklamieren Mitspracherecht.

Merz: Es ist selbstverständlich, dass unsere Ministerpräsidenten und Landesvorsitzenden in diesen Meinungsbildungsprozess mit einbezogen werden. Aber das Vorschlagsrecht haben die beiden Parteivorsitzenden von CDU und CSU.

NameFriedrich Merz
Geburtsdatum11. November 1955
SternzeichenSkorpion
AmtCDU-Vorsitzender
ParteiCDU
Parteimitglied seit1972
FamilienstandVerheiratet, drei Kinder
Größe1,98 Meter
WohnortArnsberg