Berlin. Mord, Raub, Diebstähle, Gewalt: Seit Jahren steigen die Zahlen in Washington DC. Die Polizei ist überfordert. Kommt jetzt die Armee?

75.000 Dollar Belohnung für sachdienliche Hinweise lobt die Polizei in Washington DC nicht alle Tage aus. Aber Pamela Smith hat keine Wahl. Die seit Juli amtierende Chefin im Hauptstadt-Bezirk "District of Columbia" steht unter Druck. Die Mordquote geht durchs Dach.

Mit über 176 Tötungsdelikten (knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahres-Vergleichszeitraum) hat die Hauptstadt der USA bereits Anfang September die Jahresmarke von 2018 gerissen. Bleibt das so, droht bis Ende Dezember eine Opferzahl um die 250 und damit der höchste Stand seit 20 Jahren.

Und das, während die Zahl fataler Gewalttaten in Metropolen wie New York, Baltimore oder Philadelphia zurückgeht. Im Schnitt sind die Mordzahlen in amerikanischen Großstädten im ersten Halbjahr um cirka 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Nur in Memphis, San Francisco und eben Washington DC herrscht der gegenläufige Trend.

Zum Vergleich: Als die Crack-Epidemie in den 80er und 90er Jahren in Washington wütete, starben regelmäßig über 500 Menschen im Jahr durch Schusswaffengewalt. Washington wurde "Mord-Hauptstadt" genannt und büßte viel Renommee ein. 2012 wurde dagegen mit 88 "homicides" der bisher niedrigste Stand festgehalten.

Strenge Überwachung und Ausgangssperren

Pamela Smith, eine gläubige Baptistin und die erste Afro-Amerikanerin in einer traditionell schwarzen Stadt in einem der schwierigsten Jobs überhaupt, vermittelte bei der jüngsten Presse-Konferenz aus Anlass von James Morgan (34), Jamal Morgan (30) und Vincent Martin (42) schon fast Verzweiflung.

Nachdem die drei schwarzen Männer kürzlich im Amüsier-Viertel Adams Morgan erschossen aufgefunden worden waren, bettelte die oberste Sicherheitsbeamtin um Hilfe aus der Bevölkerung. "Irgendwer weiß, was hier passiert ist. Bitte helfen Sie bei der Aufklärung."

Bis dahin sollen neue Maßnahmen greifen. In Stadtvierteln mit hoher Kriminalitätsrate werden zusätzlich 50 Überwachungskameras installiert. Seit 1. September gilt zudem in acht beliebten Kiezen (darunter Chinatown und die Parteimeile U-Street) eine nächtliche Ausgangssperre für alle unter 17 Jahren. Teenager, die nach 23 Uhr (am Wochenende nach Mitternacht) draußen angetroffen werden, landen in Haft. So soll ein Unruheherd eingedämmt werden, sagt Smith.

Polizei überfordert – Nationalgarde soll es richten

Trayon White, ein schwarzer Ratsherr aus dem Stadtteil mit den meisten Mordfällen im Südosten, hält die Polizei für überfordert. "Es ist vielleicht Zeit, die Nationalgarde zu rufen, um Kinder und unschuldige Leute zu schützen", sagt White. Sein Argument in Zahlen: Derzeit hat die Polizei in Washington 3380 Officer und 120 Kadetten auf der Straße, 450 weniger als drei Jahre zuvor. Obwohl jungen Rekruten eine Anreizprämie von jeweils 25.000 Dollar winkt.

Dagegen steht die allgemeine gesellschaftliche Befindlichkeit. Laut Polizei-Gewerkschaften wollen immer weniger Menschen nicht nur in Washington eine Uniform samt Waffe tragen. Schlechte Bezahlung, notorische Kriminalität, erhöhte Beobachtung durch die Bevölkerung (nach diversen polizeilichen Übergriffen) und Rassismusvorwürfe hätten den Beruf "unattraktiver und noch gefährlicher" gemacht, sagen Funktionäre.

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Bürgermeisterin Muriel Bowser, eine schwarze Demokratin, hat sich bisher zu der drastischen Forderung nach Einschaltung der Nationalgarde nicht abschließend geäußert. Aber der Druck auf sie wird größer. Zumal auch andere Delikte sprunghaften Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum zeigen: 2340 Raubüberfälle (+ 66 Prozent), 4856 Autodiebstähle (+ 113 Prozent), 3610 Gewaltverbrechen (+ 40 Prozent).

In den Nachbarschaften, die in den vergangenen Wochen von Blaulicht und Polizeisirenen heimgesucht wurden, regt sich Protest. Weil es nicht mehr nur der sozial schwache, von Drogen und Kriminalität geplagte Südosten der Hauptstadt (Anacostia) ist, in dem selbst banalste Auseinandersetzungen zum Einsatz tödlicher Gewalt führen.

Sondern auch im vergleichsweise solventen und lange Jahre eher ruhigen Nordwesten. Dabei kriegen die Ordnungshüter ein Phänomen nicht in den Griff: Tausende Waffen gelangen regelmäßig illegal in die Stadt, in der strenge Gesetze gelten.