Berlin. Im Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine kriselt es gewaltig. Es geht um Getreide, Bauern-Interessen und eine bevorstehende Wahl.

  • Während des Ukraine-Kriegs drohen auch die Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen zu zerbrechen
  • Auslöser sind sowohl ein polnisches Importverbot für ukrainisches Getreide als auch ein möglicher Stopp polnischer Waffenlieferungen an Kiew
  • Nach den Äußerungen von Regierungschef Morawiecki meldet sich nun Polens Präsident Andrzej Duda zu Wort

Eigentlich hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schon genug Kummer. Die Offensive seiner Truppen gegen die russischen Aggressoren im Osten des Landes kommt nur langsam voran. Immer wieder kommt es zu tödlichen Luftangriffen auf Kiew und andere Orte. Mehr als anderthalb Jahre nach Kriegsbeginn ist an ein normales Leben in der Ukraine nicht zu denken. In den vergangenen Tagen versuchte der Präsident, bei den Vereinten Nationen in New York und in der US-Hauptstadt Washington weitere Unterstützung für sein Land zu organisieren.

Und jetzt das: Es knirscht gewaltig im Verhältnis zu einem der wichtigsten Verbündeten. Die Beziehungen zwischen den Regierungen Polens und der Ukraine sind so schlecht wie seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 nicht. Es geht um ein polnisches Importverbot für ukrainisches Getreide. Und neuerdings sogar um einen möglichen Stopp polnischer Waffenlieferungen an Kiew.

Polen: Regierungschef verwirrt mit Aussagen zu Getreideimport und Waffenlieferung

Am 15. Oktober wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Die rechtsnationale Regierungspartei PiS von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kann sich nicht sicher sein, auch nach dem Urnengang das Sagen im Land zu haben. Sie steht derzeit auch wegen eines möglichen Korruptionsskandals um verkaufte Arbeitsvisa an Antragsteller aus Afrika und Asien unter Druck.

Am Mittwochabend vermittelte der Regierungschef in einem TV-Interview den Eindruck, die Lieferung von Kriegsgerät an die Ukraine stoppen zu wollen. Auf die Frage, ob Polen trotz des Getreidestreits bei seiner Hilfe bleibe, sagte Morawiecki: „Wir liefern schon keine Rüstungsgüter mehr an die Ukraine, sondern rüsten uns selbst mit den modernsten Waffen aus.“

Verwirrung um Waffenlieferung an Ukraine: Laut Präsident Duda ein "Missverständnis"

Der EU- und Nato-Staat Polen ist bislang einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine und hat auch zahlreiche Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Der polnische Regierungssprecher Piotr Müller präzisierte nach den Äußerungen seines Chefs, dass Polen seine Waffenlieferungen an die Ukraine auf bereits abgeschlossene Verträge beschränken wolle. Er sagte: „Im Zusammenhang mit Fragen zu Waffenlieferungen möchte ich Ihnen mitteilen, dass Polen nur zuvor vereinbarte Lieferungen von Munition und Rüstungsgütern ausführt. Einschließlich derjenigen, die sich aus unterzeichneten Verträgen mit der Ukraine ergeben.“

Schließlich meldete sich auch Polens Präsident zu Wort: Andrzej Duda bezeichnete die Irritationen um einen möglichen Stopp polnischer Waffenlieferungen an die Ukraine als Missverständnis. Wie Duda am Donnerstag dem Sender TVN24 mitteilte, seien die Äußerungen von Regierungschef Mateusz Morawiecki auf „die denkbar schlechteste Weise interpretiert“ worden, sagte Duda am Donnerstag dem Sender TVN24. „Meiner Meinung nach wollte der Ministerpräsident sagen, dass wir die neuen Waffen, die wir derzeit im Zuge der Modernisierung der polnischen Armee kaufen, nicht an die Ukraine liefern werden.“

Warschau hat unter anderem mit den USA und Südkorea Waffengeschäfte zum Kauf neuer Panzer und Haubitzen abgeschlossen. „Wenn wir die neuen Waffen aus den USA und Südkorea erhalten, werden wir die derzeit von der polnischen Armee verwendeten Waffen freigeben. Vielleicht werden wir sie an die Ukraine weitergeben“, sagte Duda.

Russland-Reportagen von Jan Jessen

Es gibt bislang allerdings keine Anzeichen dafür, dass Polen die Bemühungen der Europäischen Union konterkarieren will, einen Rüstungsfonds in Höhe von 20 Milliarden Euro für die Ukraine auf die Beine zu stellen. Ministerpräsident Morawiecki hatte in dem TV-Interview zudem betont, dass über das Drehkreuz Rzeszow im Südosten Polens weiterhin die Militärhilfe der Nato für die Ukraine abgewickelt werden solle. Beobachter weisen außerdem darauf hin, dass Polen in den eigenen Beständen gar nicht mehr viele Waffensysteme habe, die es an die Ukraine liefern könne. Das, was sich dafür eignete, ist weitgehend im Nachbarland. Bei weiteren Lieferungen geht es um neue Ware.

Westliche Verbündete sind trotzdem irritiert. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kündigte am Donnerstag an, das Gespräch mit seinem polnischen Kollegen Mariusz Blaszczak suchen zu wollen. Vorher wolle er sich nicht zu dem Sachverhalt äußern, sagte Pistorius bei einem Besuch in Rostock.

Ukraine: Selenskyj beklagt „politisches Theater der Solidarität“

Vergiftet ist die Stimmung zwischen Polen und der Ukraine aber vor allem wegen des Streits um ukrainische Getreidelieferungen. Die Ukraine gehört zu den größten Getreideproduzenten des Planeten und ist dringend auf die Exporteinnahmen angewiesen, um den Krieg gegen die russischen Aggressoren bestreiten zu können. Russland versucht aber, die Ausfuhr über das Schwarze Meer zu unterbinden. Ein großer Teil des Getreides wird über EU-Staaten auf die Weltmärkte geschafft.

Wolodymyr Selenskyj (l), Präsident der Ukraine, und Mateusz Morawiecki (M), Ministerpräsident von Polen (Archivbild)
Wolodymyr Selenskyj (l), Präsident der Ukraine, und Mateusz Morawiecki (M), Ministerpräsident von Polen (Archivbild) © Czarek Sokolowski/AP/dpa

Am vergangenen Freitag hatte die EU-Kommission bestehende Importbeschränkungen für den europäischen Markt aufgehoben. Polen, die Slowakei und Ungarn kündigten aber an, mit Rücksicht auf die eigenen Bauern daran festhalten zu wollen. Gerade im polnischen Wahlkampf ist das Thema sehr sensibel – Morawieckis PiS will nicht die polnische Bauernschaft gegen sich aufbringen.

Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte am Dienstag bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen gesagt: „Es alarmierend zu sehen, wie einige unserer Freunde in Europa ein politisches Theater der Solidarität spielen und einen Thriller aus dem Getreide machen.“ Tatsächlich würden diese Länder die Bühne für den Schauspieler aus Moskau vorbereiten – also für Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Nach diesen Äußerungen bestellte das polnische Außenministerium den ukrainischen Botschafter ein – auch das war ein ungewöhnlicher Vorgang.

Importverbot für ukrainisches Getreide: Polens Präsident äußert sich

Aber auch im Streit um das polnische Importverbot für ukrainisches Getreide hat Polens Präsident ein Machtwort gesprochen und beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen. „Es gibt einen Aspekt, der vielleicht umstritten ist. Es gab Äußerungen, die man vielleicht anders hätte formulieren können. Wir müssen die Situation beruhigen zum Wohle unserer beider Länder, Völker und Interessen“, so Duda am Donnerstag geenüber dem Sender Polsat News. Man müsse die Emotionen herunterkühlen und einen konstruktiven Zugang finden, der es ermögliche, den Streit hinter sich zu lassen.

Immerhin scheint in diesem Konflikt jetzt Entspannung möglich zu sein: Auch die Landwirtschaftsminister beider Länder verständigten sich bei einem Telefonat am Donnerstag darauf, eine Verhandlungslösung anzustreben. Polen forderte die Ukraine auf, eine Klage vor der Welthandelsorganisation WTO zurückzuziehen. Die Slowakei wiederum kündigte an, den Import ukrainischen Getreides nun doch nicht blockieren zu wollen. Somit widersetzen sich derzeit nur noch Polen und Ungarn dem Beschluss der Brüsseler EU-Kommission. (mit dpa)