Berlin. Der Tod von Alexej Nawalny im sibirischen Straflager wirft weiter Fragen auf. Ein russischer Aktivist hat nun eine neue Theorie.

In einem Lager nördlich des Polarkreises ist vergangenen Freitag Alexej Nawalny ums Leben gekommen. Die Umstände zum Ableben des Putin-Gegners sind weiter unklar, die Behörden haben keine genaue Todesursache genannt. Seine Familie hat bislang keinen Zugang zum Leichnam bekommen. Gleichzeitig kursieren schon erste Gerüchte, dass der plötzliche Tod des Oppositionspolitikers im Lager „Polarwolf“ keine natürliche Ursache hatte.

Am vergangenen Freitag hatte die Gefängnisverwaltung in Sibirien mitgeteilt, der 47-jährige Nawalny sei verstorben. In dieser Strafanstalt in der nördlichen Region Jamalo-Nenez war der Politiker seit Dezember inhaftiert. Der durch einen Giftanschlag im Jahr 2020 und wiederholte Einzelhaft geschwächte Nawalny soll sich laut der Mitteilung des Gefängnisses nach einem Spaziergang schlecht gefühlt und „fast unverzüglich“ das Bewusstsein verloren haben. Rettungskräfte hätten versucht, ihn wiederzubeleben, hatten aber demnach keinen Erfolg. Die Todeszeit wurde von den Ärzten auf 14.17 Uhr Ortszeit festgelegt.

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Nawalnys Tod: Laut Gefängnisexperten wurde Nawalny mit KGB-Technik umgebracht

Der russische Menschenrechtsaktivist Vladimir Osechkin hat nun in der britischen Zeitung „The Times“ klare Zweifel an der „offiziellen Todesursache“ Nawalnys geäußert. Der Exil-Russe glaubt, dass der Oppositionspolitiker durch eine alte KGB-Methode getötet wurde, einen einzelnen Schlag aufs Herz. „Das ist eine alte Technik der Spezialeinheiten des KGB. Die sind darauf trainiert, einen Mann mit einem Schlag auf das Herz, in der Mitte des Körpers, umzubringen. Das war das Kennzeichen des KGB“, wird Osechkin zitiert. Seine Informationen kämen aus dem Inneren des Straflagers „Polarwolf“. Osechkin ist Gründer von „Gulagu.net“, einer Menschenrechtsorganisation, die Zeugenaussagen von Häftlingen und Angestellten russischer Strafanstalten sammelt.

Laut Osechkin könnte die Tat damit vorbereitet worden sein, dass Nawalny am Tag vor seinem Tod gezwungen worden sei, zwischen zweieinhalb und vier Stunden in einem Einzelhaftraum unter freiem Himmel zu verbringen. Dort können die Temperaturen bis auf minus 27 Grad sinken. „Ich denke, dass sie zunächst seinen Körper zerstört haben, indem sie ihn für eine lange Zeit in der Kälte gehalten und die Blutzirkulation auf ein Minimum reduziert haben“, sagte er der „Times“. „Dann ist es sehr einfach, jemanden zu töten – binnen Sekunden, wenn der Ausführende Erfahrung darin hat“, so Osechkin.

Todesursache von Nawalny: Keine Klarheit, aber viel Einigkeit

Belege für die Theorie von Osechkin gibt es nicht. Nawalnys Leiche ist unter Verschluss. Nawalnys Mutter fordert seit Tagen von Kremlchef Wladimir Putin die Herausgabe. Vor dem Straflager nahm sie ein emotionales Video auf: „Ich wende mich an Sie, Wladimir Putin. Die Entscheidung der Frage hängt nur von Ihnen ab. Lassen Sie mich doch endlich meinen Sohn sehen“, sagte Ljudmila Nawalnaja darin. Der russische Präsident ist darauf nicht eingegangen, beförderte stattdessen einen Strafvollzugsbeamten, der Nawalny schikaniert haben soll. Der zum Generaloberst des Innenministeriums beförderte Vizechef der Gefängnisbehörde FSIN, Waleri Bojarinew, sei persönlich für die Folterungen Nawalnys verantwortlich gewesen, schrieb der Direktor des von Nawalny gegründeten Fonds zur Bekämpfung der Korruption, Iwan Schdanow, auf seinem Telegram-Kanal. „Das muss man wohl als offene Belohnung Putins für die Folter verstehen.“

Und damit hören die Ungereimtheiten nicht auf. Laut dem ZDF hat die kremlkritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ mit einem Insassen des Straflagers sprechen können, in dem auch Nawalny eingesperrt war. Seinen Angaben zufolge sei am Abend vor Nawalnys offiziellem Todestag eine seltsame Aufregung im Gefängnis ausgebrochen. In der Folge seien die Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Auch am nächsten Morgen. In dem Bericht der „Nowaja Gaseta“ heißt es, solche Maßnahmen würden sonst immer deutlich im Voraus angekündigt. „Ich denke also, dass Nawalny viel früher gestorben ist als offiziell berichtet“, wird der Mithäftling zitiert. „Warum war es sonst nötig, uns fest in der Kaserne einzusperren und am Morgen eine Durchsuchung zu organisieren?“

Julia Nawalnaja, Witwe von Alexej Nawalny, bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Julia Nawalnaja, Witwe von Alexej Nawalny, bei der Münchner Sicherheitskonferenz. © dpa | Sven Hoppe

Experten, Mitarbeiter und enge Angehörige Nawalnys gehen davon aus, dass dieses Vorgehen dem Zweck dient, die Todesursache zu vertuschen, da sie nicht natürlichen Ursprungs war. Julia Nawalnaja, die Frau des Kremlkritikers, sagte am Montag in einer Videobotschaft: „Wladimir Putin hat meinen Mann umgebracht.“ Der Name desjenigen, der den Mord im Auftrag Putins ausgeführt habe, werde in Kürze veröffentlicht, kündigte sie an.

In Russland haben bereits mehr als 70.000 Menschen einen Aufruf zur Herausgabe des Leichnams Alexej Nawalnys an die Angehörigen unterzeichnet. In Deutschland regt sich ebenfalls Protest, auch aus der Politik. Sahra Wagenknecht zum Beispiel hat sich für eine unabhängige Untersuchung zu den Todesumständen des russischen Oppositionspolitikers ausgesprochen. Die russische Führung solle diese zulassen, um zu klären, woran Nawalny gestorben sei, teilte sie am Dienstag in Berlin mit. Auch wenn man die Umstände des Todes noch nicht kenne, könne man sagen: „Es ist ziemlich klar, dass der Tod von Alexej Nawalny in der Verantwortung des russischen Machtapparates liegt. Ohne diese Haft und ohne diese Haftbedingungen würde natürlich Herr Nawalny noch leben.“

dos/dpa

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