Kiew. Im Krieg arbeitet die Armee an etwas, was nicht einmal große Streitkräfte haben: eine Drohnen-Einheit. Ihr Kommandant hat einen Ruf.

Der 39-jährige Wadym Sucharewskyj, Spitzname Borsuk (Dachs), ist eine Legende des russisch-ukrainischen Krieges. Als im April 2014 die bewaffnete Gruppe rund um den früheren Geheimdienst-Offizier Igor Girkin von Russland aus Richtung Slowjansk im Bezirk Donezk marschierte und dort bereits das lokale Polizeigebäude besetzt hatte, gab Sucharewskyj den Befehl zu schießen. Und er war damit der erste Kommandeur auf ukrainischer Seite, der den Schießbefehl in dem bereits seit rund zehn Jahren andauernden Krieg gab. „Siehst du den Feind, schießt du“ waren seine Worte, die danach sogar Teil der ukrainischen Pop-Kultur wurden. Nicht nur die bekannte Rockband „Kozak System“ nutzt sie in einem ihrer Lieder.

Die Ukraine setzt auf intelligente Drohnen aus Eigenproduktion

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    Heute ist Sucharewskyj Oberst. Er wurde im Sommer 2014 in der Region Luhansk schon einmal schwer verwundet und hat bis Februar 2024 die 59. Separate motorisierte Brigade angeführt. Diese Brigade ist eine der stärksten Einheiten der ukrainischen Armee, die an der Befreiung von Cherson im Süden wie auch zuletzt an harten Verteidigungskämpfen um Awdijiwka im Donbass teilnahm.

    Doch nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den Befehlshaber Walerij Saluschnyj entließ und mit der Ernennung von Oleksandr Syrskyj einen großen Umbau an der Armeespitze initiierte, bekam Sucharewskyj eine neue Aufgabe. Er wurde nicht einfach zum Stellvertreter des neuen Befehlshabers Syrskyj. Seine Aufgabe ist ein Novum: Er soll die Drohnenstreitkräfte als vereinzelte Truppengattung in der ukrainischen Armee etablieren, was noch in keiner großen Streitkraft der Welt so der Fall ist.

    Ukraine-Krieg: Noch nie zuvor wurden so viele Drohnen eingesetzt

    Weil der aktuelle Krieg die erste große militärische Auseinandersetzung mit derart massivem Einsatz von unterschiedlichsten Drohnen ist, wirkt Selenskyjs Entscheidung wenig überraschend. Es ist sogar davon auszugehen, dass hier einige der Gründe zu finden sind, warum sich der ukrainische Präsident nach langer Überlegung doch für die Entlassung des beliebten Walerij Saluschnyj entschied, der nun als Botschafter nach London gehen soll. Saluschnyj hat zwar die Bedeutung der Drohnen stets öffentlich betont. Offenbar hat er aber zu wenig unternommen, um in der Praxis die Entstehung entsprechender Strukturen voranzubringen. Dies soll sich nun schnell ändern. Doch warum soll ausgerechnet Wadym Sucharewskyj die ukrainischen Drohnenstreitkräfte gründen, systematisch aufbauen und als Kommandant anführen?

    Entwickelte eigene Bodendrohnen, die bei der Entminung helfen: Kommandeur Wadym Sucharewskyj, Spitzname Borsuk (Dachs).
    Entwickelte eigene Bodendrohnen, die bei der Entminung helfen: Kommandeur Wadym Sucharewskyj, Spitzname Borsuk (Dachs). © Global Images Ukraine via Getty Images | Global Images Ukraine

    Das neue Führungsteam um Oleksandr Syrskyj besteht aus einer Mischung seiner erfahrenen, langjährigen Weggefährten und jüngeren Brigadenkommandeuren, die den Bedarf an der Front aus einer Erfahrung kennen. Der 39-jährige Sucharewskyj gehört zur zweiten Kategorie. Vor allem aber: Seine 59. Brigade hat enorme Erfahrungen sowohl mit der Entwicklung als auch mit der Reparatur der Drohnen. Deren Rolle im Krieg bezeichnet Oberst Sucharewskyj, selbst aus dem westukrainischen Transkarpatien stammend, als „kolossal“. Auf seinen Befehl organisierte die Brigade den Bau der sogenannten First Person View-Drohnen, die als eine Art Teilersatz für Artillerie gelten, und konnte die Munition für eine Menge von anderen Drohnentypen selbst produzieren.

    Außerdem hat die 59. Brigade eigene Bodendrohnen entwickelt, die bei der Entminung auf der Entfernung von vier bis acht Kilometer erfolgreich sind. Insgesamt war Sucharewskyjs Brigade in der Lage, acht andere Brigaden mit Drohnen zu versorgen. Einen anderen hochrangigen Militär mit solcher Erfahrung gibt es in der Ukraine nicht.

    „Der Spruch, dass sich Generäle für den Krieg von gestern vorbereiten, hat sich endgültig erledigt“, betonte Sucharewskyj bei seiner Vorstellung Ende Februar. „Wir müssen jetzt das tun, was in Zukunft zur Grundlage der Lehrbücher zur Militärgeschichte wird, was als wirksames Beispiel für die Reaktion auf die Handlungen des Feindes gelten wird. Die Ukraine, unsere Streitkräfte, sind ein Beispiel dafür, wie es in der Zukunft aussehen sollte.“

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    Ukraine-Krieg: „Wir wollen den Feind als Erste auf dem Schlachtfeld treffen“

    Das Ziel Sucharewskyjs, den seine Kameraden als einen sehr fordernden, aber auch extrem aufmerksamen Kommandeur beschreiben, ist im Kern das Ziel des gesamten ukrainischen Staates: Dass Russland die Idee der Besatzung der Ukraine gänzlich aufgibt. „Wir wollen den Feind als Erste auf dem Schlachtfeld treffen – mit einer Drohne“, betont er. „Drohnen und unbemannte Systeme insgesamt könnten zu einem der Schlüsselelemente dieses Sieges werden.“

    Vor dem großen russischen Angriff hat Sucharewskyj mit seiner Familie, er ist verheiratet und hat zwei Kinder, in Mariupol gewohnt. Sein Haus ist im Krieg komplett zerstört worden, doch er würde gerne irgendwann in die Industriestadt am Schwarzen Meer zurückkehren, für die er schon seit 2014 kämpfte.

    Ob das gelingt, hängt auch vom Erfolg seiner neuen Drohnenmission ab. Ukrainische Militärexperten wie Oleksij Melnyk, Oberstleutnant a.D. der ukrainischen Armee und aktuell für die renommierte Kiewer Denkfabrik Zentr Rasumkowa tätig, sind diesbezüglich optimistisch. „Ich bin großer Befürworter dieser Idee“, betont er. Trotzdem müsse man auf der Hut sein: „Die Truppengattung muss vor allem Möglichkeiten für den Drohneneinsatz in der Armee schaffen. Es geht um Beschaffung, Ausbildung, Einsatzstrategien. Die Benutzung direkt an der Front müssen dann aber bereits existierende Einheiten übernehmen“, mahnt er.

    Russland-Reportagen von Jan Jessen