Berlin. Jamshid Sharmahd wurde im Iran zum Tode verurteilt. Seine Tochter fürchtet, dass er bald hingerichtet wird. Kritisch sind Samstage.

Es war einer dieser Tage im Corona-Sommer 2020, als Gazelle Sharmahd ohnehin schon in einem Albtraum lebte. Die Krankenschwester hatte Angst um die vielen Patienten, um die sie sich auf der Intensivstation in einem Krankenhaus in Los Angeles kümmern musste. Sie hatte Angst vor einer Infektion. Und vor allem Angst um ihr ungeborenes Kind, mit dem sie im fünften Monat schwanger war.

Doch dann kam die Nachricht, die alles in den Schatten stellte: Ihr Vater Jamshid Sharmahd, deutscher Staatsbürger, war vom iranischen Geheimdienst entführt worden. „Als ich das Video von meinem Vater bekam, von seinem Geständnis mit dem geschwollenen Gesicht, habe ich nur gedacht, das überlebt er nicht. Seitdem lebe ich im Krisenmodus“, sagt die 41-Jährige dieser Redaktion.

Wenn es einen Menschen gibt, der die Willkür des iranischen Regimes, die Grausamkeiten der Revolutionsgarden, des Geheimdienstes, der Mullahs repräsentiert, dann ist es Jamshid Sharmahd: Der 68-Jährige wurde nach UN-Erkenntnissen gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen – und nun zum Tode verurteilt.

„Jamshid Sharmahd schwebt in höchster Lebensgefahr“

Dieses mittlerweile bestätigte Urteil, da sind sich Menschenrechtler und seine Familie einig, könnte jeden Tag vollstreckt werden. „Jamshid Sharmahd schwebt in höchster Lebensgefahr“, sagt Katja Müller-Fahlbusch. Die Nahost-Expertin von Amnesty International in Deutschland befürchtet, dass die politisch Verantwortlichen im Iran mit den aktuellen Hinrichtungen die internationale Staatengemeinsacht austesten – um zu sehen, wie weit sie gehen können.

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Dass sie es ernst meinen, haben nicht nur die Hinrichtungen von drei jungen iranischen Männern in der vergangenen Woche gezeigt. Sie hatten an den „Frauen-Leben-Freiheit“-Demonstrationen im Land teilgenommen, die seit dem vergangenen Herbst immer wieder im Land aufflammen und zeigen, dass das Mullah-Regime mehr und mehr die Unterstützung der Bevölkerung verliert.

Gazelle Sharmahd mit ihrem Vater, dem zum Tode verurteilten Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd.
Gazelle Sharmahd mit ihrem Vater, dem zum Tode verurteilten Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd. © Privat | Privat

Elektrisiert hat die internationale Diplomatie auch die Exekution des schwedischen Staatsangehörigen Habib Chaab, dessen Fall klare Paralleln zu Jamshid Sharmahd aufweist: Beide wurden im Ausland entführt, beiden wird Terrorismus vorgeworfen, beide gestanden offenbar unter Folter, beide wurden zum Tod verurteilt. „Wir haben alle Angst, dass er der nächste sein könnte“, sagt Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal dieser Redaktion. Tekkal fürchtet sich vor allem vor den Samstagen, an dem Wochentag, sagt sie, „werden im Iran die meisten Todesurteile vollstreckt“.

Düzen Tekkal: Europäische Gefangene sind für den Iran ein Faustpfand

Die geborene Jesidin ist Journalistin und hat sich als Kriegsberichtserstatterin im Irak einen Namen gemacht. Zusammen mit ihrer Schwester, der Ex-Profifußballerin Tugba Tekkal, gründete sie die Organisation Háwar.help für humanitäre Hilfe. Sie macht die Iran-Revolulution auf Social Media sichtbar. „Wird Jamshid Sharmahd hingerichtet, dann würde der Iran das Signal aussenden: Wir können mit deutschen Staatsbürgern machen, was wir wollen“, sagt Tekkal. „Wir brauchen keine Rücksicht zu nehmen auf Frauen- und Menschenrechte“.

Immer wieder postet Tekkal Nachrichten, Fotos und Videos von den Protesten, macht auf Verhaftungen aufmerksam, auf mutige Menschen, die dem Terrorregime trotzen – und das oft mit ihrer Freiheit und auch mit ihrem Leben bezahlen. Auch über das Schicksal von Jamshid Sharmahd informiert sie auf allen Kanälen. Und wie seine Tochter Gazelle steht auch sie dem Fall ohnmächtig gegenüber.

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Sollte Sharmahd hingerichtet werden, fürchtet Tekkal einen Dominoeffekt, durch den auch andere iranischstämmige Deutsche, Franzosen, Belgier oder Iren als Faustpfand der Willkür des Regimes ausgesetzt sein könnten. Denn weil der Iran nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt, nützt auch der deutsche Pass wenig. Auf iranischem Boden gelten Doppelstaatler als Iraner oder Iranerinnen, konsularische Unterstützung durch die Deutsche Botschaft in Teheran ist kaum möglich.

Düzen Tekkal setzt sich für die im Iran im Gefängnis sitzenden Aktivisten und Oppositionelle ein.
Düzen Tekkal setzt sich für die im Iran im Gefängnis sitzenden Aktivisten und Oppositionelle ein. © AFP | Ina Fassbender

Jamshid Sharmahd wurde 1955 in Teheran geboren. 1962 zog sein Vater mit ihm nach Deutschland und heiratete eine Deutsche. Das Kind Jamshid wuchs in Peine und Hannover auf, studierte und wurde Elektroingenieur. Als junger Mann zog Jamshid wieder nach Teheran, wo er heiratete und wo seine Tochter Gazelle auf die Welt kam. Nach der iranischen Revolution kehrte er nach Deutschland zurück, holte auch Frau und Kind 1983 nach. Sein Sohn, Gazelles Bruder, wurde in Deutschland geboren. 1995 schließlich bekam er die deutsche Staatsangehörigkeit.

Jamshid Sharmahd baute in den USA einen Exil-Radiosender auf

Als er 2003 in die USA zog, um dort ein Softwareunternehmen zu gründen, lernte er Mitglieder der exiliranischen Oppositionsgruppe Tondar kennen, die laut Amnesty die Monarchie zurückwill. Für diese Gruppe baute er einen Exilradiosender auf, er engagierte sich für Menschenrechte und, so erzählt es Tochter Gazelle in Medienberichten, informierte über die Verbrechen des iranischen Regimes.

Im Sommer 2020 wollte der Unternehmer von Frankfurt nach Mumbai reisen. Beim Zwischenstopp in Dubai fiel der Anschlussflug aus, er musste ungeplant in Dubai übernachten. Der iranische Geheimdienst nutzte Berichten zufolge die Gelegenheit, kidnappte den Deutschen und verschleppte ihn.

Jamshid Sharmahd vor Gericht. Ihm wurde ein Schauprozess gemacht, der mit dem Todesurteil endete.
Jamshid Sharmahd vor Gericht. Ihm wurde ein Schauprozess gemacht, der mit dem Todesurteil endete. © dpa | Koosha FalahiMizandpa

Gazelle Sharmahd hat bis heute keine Ahnung, wo sich ihr Vater überhaupt aufhält. „Wir wissen noch nicht einmal, ob er überhaupt im Iran ist. Womöglich weiß er es selbst nicht“, sagt sie. Zwei mal habe ihre Mutter mit Jamshid Sharmahd telefonieren dürfen, einmal auch sie selbst. „Er sagte immer nur: ‘Ich bin hier’“. Über seine Haftbedingungen habe er in Anekdoten aufmerksam gemacht. „Es waren ja immer Wächter dabei“. Klar sei aber so viel: Seit mehr als 1000 Tagen sitze ihr Vater in Isolationshaft, werde gefoltert.

Der Fall Jamshid Sharmahd zeigt die Willkür des iranischen Regimes

Wofür ihn die iranische Justiz verantwortlich macht: Sharmahd soll Drahtzieher eines Anschlags im Jahr 2008 auf eine Moschee in der Stadt Schiras gewesen sein, bei dem es mehrere Tote gegeben hat. Seine Familie weist dies zurück, und auch die UN sind zu der Erkenntnis gekommen, dass die Verhaftung willkürlich war. Tatsächlich hatte bereits 2008 die staatliche Nachrichtenagentur „Fars News“ einen Anschlag in Schiras ausgeschlossen. Vielmehr sei explodierende Munition aus dem Iran-Irak-Krieg (1980-1988) Ursache für die Explosion gewesen.

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Das per Video aufgezeichnete Geständnis ihres Vaters sei unter massiver Folter zustande gekommen, betont Gazelle Sharmahd. Der Iran nutzte es als Propagandavideo, zeigte es mehrfach im iranischen Fernsehen, vermischte seine so genannten Geständnisse mit Ausschnitten aus seinen Sendungen, bezeichnete ihn als Verbrecher und Terroristen.

„Die Entführung, die Folter und der manipulative Schauprozess sollen gegenüber Dissidentin im Land und weltweit ein Exempel statuieren: keine iranisch-stämmige Person, die laut gegen die Regierung ist, soll sich mehr sicher fühlen“, beschreibt Valerio Krüger, Sprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM), dieser Redaktion.

Düzen Tekkal: Das Regime setzt auf alles oder nichts

Der Menschenrechtler sieht die Bundesregierung in der Pflicht – und die Europäische Union: „Es sollte EU-weit eine Task-Force zusammenarbeiten, um weitere Inhaftierte und vom Tod bedrohte europäische Staatsbürger zu befreien. Amnesty-Expertin Katja Müller-Fahlbusch kritisiert die „stille Diplomatie“, die im Umgang mit dem Iran immer noch bevorzugt werde. Auch wenn Annalena Baerbock das Todesurteil massiv kritisiert habe: „Bis heute hat die Bundesregierung noch nie öffentlich die Freilassung von Jamshid Sharmahd gefordert“.

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Dass Sharmahd trotz seiner europäischen Staatsangehörigkeit entführt und verurteilt wurde, ist kein Einzelfall. Gazelle Sharmad spricht von 20 iranischstämmigen Europäern, die in Irans Gefängnissen sitzen – darunter auch die Kölner Architektin Nahid Taghavi. Die 67-jährige sitzt im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran in Haft, verurteilt zu zehn Jahren. „Auch sie ist ein Faustpfand, auch sie ist der Willkür des Regimes ausgesetzt“, sagt Aktivistin Düzen Tekkal.

Gazelle Sharmahd mit ihrem Jamshid Sharmad – ein Selfie aus glücklichen Zeiten.
Gazelle Sharmahd mit ihrem Jamshid Sharmad – ein Selfie aus glücklichen Zeiten. © Privat | Privat

Sie sieht zwar die Notwendigkeit, mit Blick auf die Geiseln nicht alle diplomatischen Beziehungen über Bord zu werden. Der Bundesregierung wirft sie dennoch vor, zu lange auf „Appeasement-Politik“ gesetzt zu haben, auf Beschwichtigung. „Das war von Anfang an der Fehler. Man kann dem Regime nicht trauen. Es hat an Reformen kein Interesse“, sagt sie. Das Regime setzte auf alles oder nichts. Wenn Deutschland immer nur rede, Deals aushandele, „dann fallen wir den Menschen in den Rücken.“

Amnesty: Noch immer wird die stille Diplomatie bevorzugt

Also kein Deal, kein Gefangenenaustausch – etwa nach dem Motto: Wenn ihr Jamshid Sharmahd rausgebt, dann überstellen wir einen iranischen Terroristen oder setzen eingefrorene Gelder frei. Menschenrechtler sehen darin tatsächlich keine Alternative. Sie nennen es „Geiseldiplomatie“, laut Amnesty werde mit einem Deal die „perfide Strategie“ unterstützt, „ausländische Staatsbürger*innen zu verhaften, um sie als politisches Faustpfand zu missbrauchen“. Menschenrechtler Valerio Krüger differenziert: „Wenn ein solcher Deal sein Leben schützen kann, dann sollte dies im Interesse der Familie stattfinden“.

Die Staaten der EU müssten jedoch zusammenarbeiten, „um weitere Inhaftierte und vom Tod bedrohte Staatsbürger zu befreien“. Gazelle Sharmahd befürchtet diplomatische Alleingänge – und genau das ist an diesem Freitag passiert: Ein Deal zwischen Belgien und dem Iran. Der im Iran inhaftierte Entwicklungshelfer Olivier Vandecasteele, verurteilt zu 40 Jahren Haft, ist freigelassen worden.

Im Austausch gegen den ehemaligen Botschafter in Wien, Assadollah Assadi, der 2021 wegen eines vereitelten Anschlags auf iranische Oppositionelle nahe Paris im Jahr 2018 zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war. In seinem Diplomatengepäck soll er die Bombe transportiert haben. Mit diesem Deal sei die gemeinsame Taskforce der Europäer vom Tisch, sagt Gazelle Sharmahd. „Und das kann die Hinrichtung meines Vaters besiegeln.“