Brüssel/Berlin. Die Zahl der Asylbewerber steigt massiv. Zum Flüchtlingsgipfel fordert die Regierung strenge Regeln in der EU. Was bringen die Pläne?

Asylverfahren im Eiltempo schon an den EU-Außengrenzen, mehr Grenzkontrollen, schnelle Abschiebungen: Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt machen SPD und Liberale in der Ampel-Koalition Druck für einen verschärften Kurs in der EU-Asylpolitik. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drängt darauf, die europäische Migrationspolitik stärker auf eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen auszurichten und dafür auch die Grenzkontrollen zu verstärken.

Ähnlich wie Faeser spricht sich nun auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) dafür aus, die EU-Außengrenzen notfalls mit Zäunen zu schützen, wie es in Teilen Ost- und Südosteuropas bereits Praxis ist. Widerspruch kommt prompt von den Grünen, die vor „Abschottung“ warnen.

Hintergrund der Forderungen ist der starke Anstieg der Asylbewerberzahlen in Deutschland. Nach neuesten Daten des Bundesamtes für Migration, die unserer Redaktion vorliegen, wurden in diesem Jahr bis Ende April bereits rund 102.000 Erstanträge auf Asyl registriert, knapp 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Allerdings ist das immer noch noch weit entfernt von der Lage in der Flüchtlingskrise 2015.

Migration: Deutschland ist Hauptziel für Asylbewerber in der Europäischen Union

Während sich die Debatte in Berlin lange Zeit vor allem darum drehte, wie sich Bund, Länder und Kommunen die Versorgung der Flüchtlinge aus der Ukraine – die keinen Asylantrag stellen müssen – aufteilen, geht es nun verstärkt um eine Begrenzung des Zuzugs von Migranten aus anderen Regionen der Welt, vor allem aus Afrika und Asien. Damit geraten kurz vor dem Flüchtlingsgipfel am Mittwoch die Verhandlungen über eine umfassende Asylreform auf EU-Ebene ins Blickfeld – und die Rolle, die die Bundesregierung dabei spielt.

Faeser nährt die Hoffnung, die europäische Reform könne durch eine stärkere Migrationssteuerung auch Entlastung für Deutschland bringen, das weiter Hauptzielland für Asylbewerber in der EU ist. Nach neuen Zahlen des EU-Statistikamtes Eurostat wurden vergangenes Jahr 41 Prozent aller positiven Asylbescheide in der Union in Deutschland ausgestellt. Die Vorschläge für die Asylreform hatte die EU-Kommission bereits 2020 vorgelegt – doch ebenso wie ein Vorgänger-Entwurf von 2016 führte der Vorstoß erst zu Streit und dann zu Stillstand.

Migration: Diese Verfahren plant die EU

Aber ein Jahr vor den nächsten Europawahlen kommt jetzt Bewegung in die Reformbemühungen: EU-Parlament und EU-Staaten wollen versuchen, bis Jahresende doch noch einen Kompromiss zu finden. Die EU-Staaten müssen dazu bis Juni ihre Verhandlungsposition abstimmen. Faeser will dabei eine führende Rolle zu spielen, wie es schon ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU) versucht hatte.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordern einen härteren Kurs in der EU-Asylpolitik.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fordern einen härteren Kurs in der EU-Asylpolitik. © dpa | Kay Nietfeld

Im Kern geht es erstens um ein neues, umfassendes „Screening-Verfahren“, durch das alle irregulär eingereisten Migranten flächendeckend registriert werden und eine Identitäts- und Sicherheitsprüfung durchlaufen müssen. Zweitens: Kommen Asylsuchende aus einem Land mit einer geringen Anerkennungsquote – zum Beispiel Marokko, Tunesien oder Nigeria – sollen sie gleich an der Außengrenze etwa in Italien oder Griechenland ein Eil-Verfahren durchlaufen, das innerhalb von drei Monaten abgeschlossen werden soll.

In dieser Zeit können sie in Transitlagern festgehalten werden, juristisch gelten sie als noch nicht in die EU eingereist. Wer abgelehnt ist, wird umgehend abgeschoben, andernfalls beginnt wie für die anderen Antragsteller ein reguläres Asylverfahren. Das Vorgehen würde dem deutschen Flughafenverfahren ähneln.

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Vorgesehen ist zudem ein freiwilliges Umverteilungssystem unter den EU-Staaten und auch ein Krisen-Mechanismus im Fall von starker Zuwanderung. EU-Länder werden aber nicht verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen – wer das wie zum Beispiel Ungarn verweigert, müsste dafür finanzielle Lasten und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Ob die betroffenen Länder mitgehen, ist ungewiss.

Umgekehrt ist weiter unklar, ob diese Lösung den Mittelmeer-Ländern genügt, über die die meisten Migranten einreisen. Die Südeuropäer fordern eine verbindliche Lastenteilung und haben deshalb auch Bedenken, dass die Transitzentren auf ihrem Territorium entstehen sollen.

EU-Asylreform: Grüne warnen vor Massenhaftlagern

Wegen solcher Grundsatz-Differenzen ist ungewiss, ob die Reform mehr wird als ein Minimal-Kompromiss. Flüchtlingsorganisationen lehnen derweil ebenso wie Politiker von Linken und Grünen die geplanten Asyl-Schnellverfahren ab, fürchten einen Frontalangriff auf das Asylrecht. Der Asylexperte der Grünen im EU-Parlament, Erik Marquardt, warnt, der Plan werde zu „Massenhaftlagern an den EU-Außengrenzen“ und in der Praxis zu „Leid und Chaos“ führen.

Innenministerin Faeser unterstützt dagegen offensiv das Vorhaben: Wenn binnen kurzer Fristen über den Schutz von Menschen mit geringer Aussicht auf Asyl in der EU entschieden werde, „können abgelehnte Asylbewerber schnell bereits von den EU-Außengrenzen aus zurückgeführt werden“, meint sie.

Die Innenministerin weiß eine große Mehrheit der Deutschen hinter sich: Laut dem neuen ARD-Deutschlandtrend finden 79 Prozent der Bundesbürger, das Asylverfahren künftig bereits an den EU-Außengrenzen stattfinden sollten. Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent ist inzwischen der Meinung, dass Deutschland „weniger Geflüchtete aufnehmen“ sollte – das sind zwölf Prozentpunkte mehr als noch vor drei Jahren. Wenn es um die Zuwanderung von Fachkräften geht, ändert sich die Einschätzung: 41 Prozent plädieren dafür, dass Deutschland mehr Fachkräfte aus dem Ausland anwirbt.