Berlin. Expertenrat warnt: Die Koalition ist dabei, das Klimaschutzgesetz abzuschwächen. Vor allem im Verkehrssektor gibt es keine Trendwende.

Überwiegend skeptisch hat sich der Expertenrat für Klimafragen zu den jüngsten Beschlüssen der Bundesregierung geäußert. Diese würden „die Gefahr einer Verfehlung der Treibhausgas-Minderungsziele erhöhen“, schreiben die fünf Fachleute in ihrem gesetzlich vorgesehenen Prüfbericht. Das Gremium hat die Aufgabe, die Einhaltung des Klimaschutzgesetzes zu überwachen.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte Ende März beschlossen, das Klimaschutzgesetz zu überarbeiten. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der hiesige Autoverkehr und die Gebäude mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) verursachen als gesetzlich erlaubt.

Experten warnen Koalition vor Aufweichung von Klima-Zielen

Der Expertenrat plädierte am Montag in Berlin dafür, den „Budgetansatz“ im Klimaschutzgesetz „zu erhalten“. Damit sind die für jedes Jahr festgelegten CO2-Mengen gemeint, die unter anderem Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude und Verkehr höchstens verursachen dürfen. Jedoch stelle die Ampel-Koalition diese „Mengenbegrenzung infrage“, sagte Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrates. Der Koalitionsbeschluss enthält Formulierungen, die man als Abkehr von den fixen, jährlichen Sektormengen interpretieren kann. Das „könnte im Widerspruch zum Bundesverfassungsgericht stehen“, mahnte Henning außerdem.

Der Expertenrat für Klimafragen veröffentlicht den Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen in der Bundespressekonferenz. Nach Zahlen des Umweltbundesamts ist 2022 der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen leicht gesunken. Im Verkehr sowie im Gebäudebereich wurden aber die zulässigen Emissionsmenge für 2022 überschritten.
Der Expertenrat für Klimafragen veröffentlicht den Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen in der Bundespressekonferenz. Nach Zahlen des Umweltbundesamts ist 2022 der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen leicht gesunken. Im Verkehr sowie im Gebäudebereich wurden aber die zulässigen Emissionsmenge für 2022 überschritten. © dpa | Kay Nietfeld

Als problematisch betrachten die Fachleute auch die „Aufweichung der Ressortverantwortung“. Laut Koalitionsbeschluss muss beispielsweise Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) künftig nicht mehr jährlich ein Sofortprogramm vorlegen und umsetzen, wenn der Verkehr das Minderungsziel verfehlt. Stattdessen sollen die Ressorts der Bundesregierung gemeinsam verantwortlich sein. Dann könnte etwa die Industrie mehr CO2 einsparen und den höheren Ausstoß des Verkehrs kompensieren. Der Expertenrat befürchtet aber, dass die Mengenreduzierung dann nicht mehr so stringent umgesetzt werde, wie bisher geplant.

Klimaschutz: Treibhausgasausstoß geht um 1,9 Prozent zurück

Allerdings schreibt das Gremium in seinem Bericht auch, dass es die möglichen Veränderungen im Gesetz noch nicht richtig beurteilen könne. Schließlich gebe es bisher keinen Gesetzentwurf für die Novellierung. Und in einigen Punkten sehen die Expertinnen und Experten sogar Verbesserungen. So sei es zu begrüßen, dass die Einhaltung der Sektorziele nicht nur im Nachhinein überprüft, sondern auch im Hinblick auf die künftige Entwicklung beurteilt werden solle.

Der Expertenrat hat jetzt den Emissionsbericht des Umweltbundesamtes für 2022 bewertet. Der Treibhausgasausstoß war im vergangenen Jahr um 1,9 Prozent zurückgegangen. Damit hat Deutschland sein jährliches Reduktionsziel im Klimaschutzgesetz insgesamt erreicht. Die Bereiche Verkehr und Gebäude haben die Latte allerdings gerissen.

„Im Verkehrssektor ist die notwendige Trendwende weiterhin nicht zu beobachten, die Emissionsentwicklung blieb auf gleichbleibend hohem Niveau“, formulierte der Expertenrat. Die nötige Konsequenz nach augenblicklicher Gesetzeslage ist ein Sofortprogramm, um das verfehlte Ziel schnell einzuhalten. Verkehrsminister Wissing verweigerte diesen Schritt allerdings, worauf die Koalition beschloss, das Gesetz abzuschwächen.

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Klimapolitik geht zu langsam voran

Insgesamt stimmt zwar die Richtung der deutschen Klimapolitik: Die Emissionen gehen zurück, während die Wirtschaft wächst. Jedoch verläuft dieser Prozess zu langsam. Wenn es so weiter geht, kann das Land die Treibhausgase bis 2030 nicht um 65 Prozent gegenüber 1990 verringern. Möglicherweise steht dann unter dem Strich nur eine Reduktion von 50 oder 55 Prozent.

Gründe dafür gibt es mehrere. Einerseits fehlen in machen Bereichen bisher wirksame Regulierungen, die helfen, die Treibhausgase zu verringern – etwa Vorschriften für den Austausch von Heizungen oder ein Tempolimit auf Autobahnen. Andererseits kommt die Transformation der Wirtschaft zu langsam voran. Es werden beispielsweise noch zu wenige Wärmepumpen hergestellt und verkauft. Die Zahl der neu gebauten Wind- und Solarkraftwerke ist ebenfalls zu gering.