Berlin. Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken, wird es nicht reichen, Emissionen zu mindern. Moderne Technik soll künftig CO2 binden.

Eine Art Staubsauger für die Luft, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen – kann das funktionieren? Es muss, will die Menschheit ihr selbst gestecktes Klimaziel von möglichst maximal 1,5 Grad Erderhitzung erreichen. Da sind sich Expertinnen und Experten einig. Zuletzt hat das auch der Weltklimarat klargemacht. Was sich schon tut und tun muss. Eine Erklärung in acht Schritten.

1. Bäume pflanzen allein hilft nicht

Es gibt die natürlichen Wege. Erstens: die Aufforstung. Bäume nehmen während ihres Wachstums CO2 auf. Das Holz speichert Kohlenstoff. Zweitens: Aufbau von Humusschichten im Boden. Auch Humus bunkert Treibhausgase. Das hört sich alles gut an.

Die Experten sprechen von „nature based solutions“. Diese naturbasierten Lösungen haben aber einen Haken: „Es ist unklar, wie viel CO2 langfristig gespeichert bleibt“, sagt Jessica Strefler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Sie erforscht, welche Rolle Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid, dem Carbon Dioxid Removal, kurz CDR, für den Klimaschutz spielen können. Dürren, Stürme, Borkenkäfer können ganze Waldbestände zusammenbrechen und das CO2 in der Folge wieder frei werden lassen.

Auch der Humusaufbau ist umkehrbar – der Kohlenstoff kann jederzeit wieder als CO2 in die Luft entweichen, ändert der Landwirt die Bewirtschaftung des Bodens. Bringt das also alles gar nichts? „Nein, solche Lösungen werden gebraucht, sie sind nicht teuer, tendenziell auch gut für den Boden“, sagt Strefler, „sie reichen nur nicht.“

2. CO2-Fänger kein Science-Fiction mehr

Kann man Algen im Meer mit Eisensulfat düngen, sodass diese stärker wachsen und der Atmosphäre gefährliches Treibhausgas entziehen? Als Geo-Ingenieure diesen Eingriff am Ozean vor Jahren erwogen, war das umstritten. Der Effekt erschien fragwürdig, das Herumdoktern an den Weltmeeren riskant.

Mittlerweile werden aber ganz andere Techniken entwickelt, um einmal ausgestoßenes CO2 wieder zurückzuholen. Im Fachjargon sind das „negative Emissionen“. Und diese betrachtet nicht nur Wissenschaftlerin Strefler als Brücke in die klimaneutrale Welt.

Auch die Bundesregierung will Ziele für negative Emissionen für die Jahre 2035, 2040 und 2045 festlegen. Das entlasse Deutschland nicht aus der Pflicht, schnell und drastisch Emissionen zu mindern, wegzukommen von Kohle, Öl, Gas, erklärt Strefler.

Es gehe vielmehr um Rest­emissionen, also um jene Treibhausgase, die sich zum Beispiel in der Zementindustrie oder auch der Düngemittelprodukion kaum vermeiden lassen – klimaneutraler Umbau der Wirtschaft hin oder her. Künftig unvermeidbares, aber auch längst ausgestoßenes, historisches CO2 zurückzuholen, wird Realität werden – als Ergänzung. Es gibt schon erste Projekte.

Die CO2-Filteranlage Orca auf Island galt als Durchbruch.
Die CO2-Filteranlage Orca auf Island galt als Durchbruch. © Climeworks

3. CO2 wird direkt aus der Luft gefiltert

Die Anlage Orca auf Island galt als Durchbruch, als sie im September 2021 vom Schweizer Unternehmen Climeworks in Betrieb genommen wurde: Sie kann 4000 Tonnen CO2 pro Jahr aus der Luft filtern. Derzeit wird der Nachfolger Mammoth gebaut, ebenso auf Island.

Aber auch in der Schweiz und in Kanada gibt es Pilotanlagen für diese Direct Air Capture genannte Technik, kurz: DAC. Mit riesigen Ventilatoren wird Luft aus der Umgebung durch die Anlage geblasen, das CO2 bleibt an einem speziellen Filter hängen.

In einem nächsten Schritt wird es bei Temperaturen um 100 Grad Celsius aus den Filtern und in Wasser gelöst. Das CO2-haltige Wasser wird dann vom isländischen Partnerunternehmen Carbfix im tiefen Vulkangestein eingelagert. Das enthält Kalzium, Magnesium und Eisen und reagiert im Laufe der Zeit mit dem gelösten CO2. Es entsteht Kalziumkarbonat – Kalk.

„Das CO2 wird in fester Form und damit langfristig gespeichert“, sagt PIK-Expertin Strefler. Für die direkte Abscheidung von Kohlendioxid aus der Luft in Kombination mit der Speicherung von Kohlenstoff gibt es auch eine Abkürzung: DACCS.

4. Energiepflanzen werden zu Helfern

Ob und wie Mais und andere Pflanzen angebaut werden sollten, um aus ihnen Energie statt Futter- oder Lebensmittel zu gewinnen, ist eine lange währende Debatte. Jedenfalls nehmen Energiepflanzen beim Wachstum CO2 auf. Und derzeit werden sie oft zur Strom- und Wärmeerzeugung verbrannt, um Energie zu gewinnen. Dabei wird das CO2 dann wieder frei.

Dieses soll bei der Methode namens BECCS, kurz für „Biomass Energy with Carbon Capture and Storage“, eingefangen und auch im Untergrund gespeichert werden. Das vom grünen Politiker Robert Habeck geführte Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz schreibt auf seiner Homepage: „Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nachhaltig erzeugte Biomasse nur im begrenzten Umfang verfügbar ist.“ Es wird nur ein Baustein von vielen sein.

5. Platz für CO2 unter dem Meer

Die unterirdische Speicherung von CO2 war in Deutschland lange Zeit umstritten. Das bisher einzige CO2-Speicherprojekt in Deutschland befindet sich westlich von Berlin in Ketzin. Das sei in anderen Ländern anders, heißt es auf der Ministeriums-Homepage: „Die geologische Speicherung von CO2 wird weltweit seit Jahrzehnten praktiziert – von kleinen Pilot- bis hin zu großen Industrieprojekten und unter verschiedenen geologischen Rahmenbedingungen.“

Große Speicher lägen zum Beispiel unter der Nordsee. Dänemark hat Anfang März mit der Einlagerung von CO2 in einem früheren Ölfeld unter seinem Teil der Nordsee bereits begonnen.

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    6. Industrie braucht CO2 als Rohstoff

    Der Leverkusener Chemiekonzern Covestro etwa setzt CO2 bei der Kunststoffproduktion ein. Der Begriff dafür: Carbon Capture and Utilization, CCU. Das Unternehmen verwendet das Treibhausgas als alternativen Rohstoff für die Herstellung von Polycarbonat, das zum Beispiel medizinischen Geräten und Stadiondächern stecken kann oder in der Automobilindustrie für Autokarosserien genutzt wird.

    Auch für den Schaumstoff etwa von Matratzen oder Polstermöbeln wird CO2 genutzt, genauer zur Produktion der chemischen Vorprodukte, die gebraucht werden, um Polyurethane für Schaumstoff herzustellen. Die Chemie wird neu erfunden, auch von anderen Firmen. Carbonfasern zum Beispiel lassen sich auch aus CO2 herstellen. Allerdings wird das CO2 am Ende des Matratzenlebens wieder freigesetzt, wenn sie verbrannt werden.

    7. Noch hat die Technik Grenzen

    „Es gibt nicht die eine, die beste Option. Wir müssen jede angucken“, sagt Jan Christoph Minx, der am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change zum Stand der Techniken forscht. Er hat erst Anfang des Jahres zusammen mit einem internationalen Wissenschaftsteam eine „Bestandsaufnahme“ gemacht.

    Demnach werden die technischen Methoden noch viel zu wenig vorangetrieben. Bisher würden sie jährlich gerade mal 0,002 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre nehmen. Um die Klimaziele zu erreichen, müssten es schon 2050 1300-mal mehr sein.

    8. Entspannen ist keine Option

    Die Potsdamer Klimaforscherin Strefler zählt noch zwei weitere Methoden auf. Pflanzenreste könnten verkohlt und diese Biokohle dann auf den Böden ausgebracht werden. Der in den Pflanzen enthaltene Kohlenstoff bleibe so im Boden, verbessere obendrein dessen Eigenschaften.

    Auch die beschleunigte Verwitterung sei eine Variante: Basalt oder Kalkgestein binden Kohlendioxid, wenn sie verwittern. Zermahlt man die Gesteine, wird die Oberfläche größer und die Verwitterung schneller.

    Könnte man sich dann bei der Minderung der Treibhausgase entspannen? „Auf keinen Fall“, erklärt Strefler. „Mit keiner der Techniken lässt sich beliebig viel CO2 wieder einfangen. Es gibt immer Grenzen, weil zum Beispiel zu viel Energie nötig wäre oder eine zu große Landfläche.“ Und je nach Verfahren sei es auch mal mehr, mal weniger teuer. Expertin Strefler sagt es so: „Jede Tonne CO2, die wir gar nicht erst ausstoßen, müssen wir auch nicht aufwendig wieder zurückholen.“