Kiew. In der Ukraine ist Pornografie strafbar. Ein neuer Gesetzentwurf will das ändern – auch, weil die Armee von den Inhalten profitiert.

Pornografie legalisieren – und das mitten im Krieg. Bei vielen Ukrainerinnen und Ukrainern hat ein entsprechender Gesetzentwurf in den vergangenen Wochen für großen Wirbel gesorgt. Während ein Teil der Öffentlichkeit einen liberaleren Umgang mit pornografischen Inhalten begrüßte, gab es auch viele kritische Stimmen, die sich nicht nur über die Idee, sondern auch über den Zeitpunkt empörten.

Das Land habe angesichts eines Abwehrkrieges gegen Russland andere Sorgen, argumentieren sie. Statt sich mit dem Status von Pornografie zu beschäftigen, sollten sich die Abgeordneten besser um kritischere Fragen kümmern. Tatsächlich hat die Initiative aber weit mehr mit dem Verteidigungskampf der Ukraine zu tun, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. „Unser Staatshaushalt erhält Millionen Hrywnja von Plattformen mit Inhalten für Erwachsene“, sagt der Parlamentsabgeordnete Jaroslaw Schelesnjak.

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Seine Partei, die nationalliberale Oppositionsfraktion „Stimme“, hatte die Liberalisierung gemeinsam mit einer Reihe Parlamentsabgeordneter der Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ vorgeschlagen. „Vor allem werden über Plattformen wie OnlyFans Gelder an die Armee gespendet“, argumentiert Schelesnjak. „Wenn wir unter diesen Umständen Pornografie als Verbrechen betrachten, werden wir entweder selbst zu Kriminellen – oder wir sind irgendwie schizophren.“

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Gründerinnen des Projekts TerOnlyFans sind zwei Frauen

Der Webdienst OnlyFans mit Sitz in London stellt kostenpflichtige Fotos, Videos und Live-Streams bereit, die meist entweder erotischer oder pornografischer Natur sind. Seitdem Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen hat, wird die Plattform von ukrainischen Erotikmodels verstärkt genutzt, um die erzielten Einnahmen an die eigenen Streitkräfte zu spenden. Daraus ist unter anderem die Bewegung TerOnlyFans entstanden. Der Zusatz „Ter“ spielt auf territoriale Verteidigungskräfte der Ukraine an – die Teroborona.

TerOnlyFans sammelt Spenden für die ukrainische Armee – mit Nacktfotos.  
TerOnlyFans sammelt Spenden für die ukrainische Armee – mit Nacktfotos.   © TerOnlyFans

Das Projekt wurde von zwei Frauen gegründet – beide nennen sich Anastassija. Als der Krieg ausbrach, war eine von beiden, eine junge Frau aus Kiew, gerade in Kroatien im Urlaub. Bekannte von ihr brauchten am dritten Kriegstag eine Mitfahrgelegenheit, um die damals belagerte Großstadt Charkiw in der Ostukraine zu verlassen. Anastassija teilte deren Aufruf auf Twitter. Doch abgesehen von einigen Likes und Retweets blieben Angebote aus. Dann versprach sie, demjenigen Nacktfotos zu schicken, der ihr bei der Suche nach einem Auto helfen kann – und plötzlich ging alles ganz schnell.

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Anastassija erhielt Dutzende Anfragen, ob sie ihre Fotos auch gegen Geld verschicken würde – doch sie bat darum, die Beträge direkt an die ukrainische Armee zu spenden. Das Projekt TerOnlyFans war geboren, noch am gleichen Abend hatte es ein Logo. Wer mitmachen will, muss zunächst eine Spende an die Armee schicken. Möglich sind sowohl Zuwendungen an große gemeinnützige Stiftungen als auch an konkrete Einheiten. Ist die Transaktion nachgewiesen, erhalten die Spender Zugang zu den Fotos.

In anderthalb Jahren fast 720.000 Euro für Streitkräfte gesammelt

Dafür reicht schon eine Fünf-Euro-Zahlung. Großspender erhalten aber zusätzlich Abonnements für die OnlyFans-Accounts der Models, die sich am Projekt beteiligen – und es gibt dabei durchaus Menschen, die 2000 bis 3000 Euro spenden. Inzwischen engagieren sich bei TerOnlyFans 50 Modelle, darunter auch einige Männer. Von den Spendengeldern sehen sie keinen Cent. In anderthalb Jahren hat das Projekt TerOnlyFans umgerechnet fast 720.000 Euro an Spenden für die Armee gesammelt.

„Vom aktuellen Gesetz werden diese Freiwilligen als Kriminelle bewertet“, sagt der Rada-Abgeordnete Schelesnjak. „Das ist bereits ein klares Argument dafür, Pornografie zu entkriminalisieren. Aber es ist natürlich nicht das einzige Argument.“ Obwohl OnlyFans allein im ersten Halbjahr 2023 beinahe eine Million Euro an Steuern in den ukrainischen Staatshaushalt einzahlte, legt die geltende Gesetzgebung die Strafbarkeit der Verbreitung pornografischer Inhalte sehr breit aus.

Auch das Verschicken von eigenen Nacktfotos ist aktuell strafbar

Als Pornografie kann im Prinzip jedes Nacktfoto bewertet werden. Die Grenzen zur Pornografie sind unklar definiert, weshalb es inzwischen viele fragwürdige Gerichtsurteile gibt. So wurde etwa im Juli 2023 eine Frau aus der Region Poltawa zu rund 900 Euro Strafe verurteilt, weil sie ihrem eigenen Freund zwei intime Videos via Telegram geschickt hatte. Ihr Handy wurde ebenfalls beschlagnahmt. Im Bezirk Dnipro wurde ein Ehepaar wegen des Verkaufs ihrer Videos via OnlyFans zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt.

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Das Urteil wurde später zwar auf jeweils ein Jahr auf Bewährung entschärft, dennoch ist die Strafe im europäischen Vergleich geradezu drakonisch. „Zu einer Anklage kann grundsätzlich alles führen“, erklären die Autoren des Gesetzentwurfs. „Das private Versenden der Inhalte, das Posten von Videos verheirateter Paare auf Plattformen wie OnlyFans oder PornHub sowie das Versenden von Nacktfotos von Freiwilligen wie im Falle von TerOnlyFans.“

Geht es nach den Initiatoren, sollte künftig nur noch die Herstellung pornografischer Inhalte ohne Zustimmung strafbar sein – also beispielsweise Zoo- und Nekrophilie, aber auch Kinderpornographie. Weil unter den Unterstützern des Gesetzentwurfs auch wichtige Abgeordnete der Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj zu finden sind, stehen die Chancen nicht schlecht, dass das Gesetz angenommen wird. Sollte das passieren, ist mit einer hitzigen Debatte in der Ukraine zu rechnen.

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