Berlin. Putin-Gegner leben gefährlich. Einige mussten sterben. Nawalny-Anhänger werden offenbar in den Tod geschickt: Müssen sie an die Front?

Ein ungeheuerlicher Verdacht macht nach dem Tod von Kremlgegner Alexej Nawalny die Runde: Wer sich zum Gedenken versammele und so öffentlich mit ihm sympathisiere, lande an der Front im Ukraine-Krieg.

Es wäre eine besonders perfide Reaktion auf zivilen Ungehorsam. Faktisch käme sie einem Todesurteil gleich, weil die Verlustrate enorm ist. Europaweit greifen Medien das Thema auf, und alle schöpfen aus derselben Quelle: „RusNews“.

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Das Portal zitiert die Ehefrau eines Inhaftierten: „Sie wurden gezwungen, die Vorladungen sofort zu unterschreiben.“ Ein Inhaftierter klagte: „Sie sagten, dass sie uns die Finger brechen, wenn wir nicht unterschreiben.“ Schon bei früheren Gelegenheiten standen solche Vorwürfe im Raum. Dokumentiert ist zumindest, dass Nawalny-Demonstranten von der Polizei überwacht und verhaftet werden.

Russland: Die Armee hat Zwangsrekrutierungen nicht nötig

Die Einberufung wäre die nächste Eskalationsstufe. Männer im wehrfähigen Alter berichten, dass sie nach Entlassung aus der vorläufigen Festnahme Vorladungen bekommen haben. Darin stehe wiederum, dass sie sich innerhalb weniger Tage beim Einberufungsbüro melden müssten. Es ist die Rede von 95 Demonstranten, die womöglich in letzter Konsequenz für Russland in den Krieg gegen de Ukraine ziehen müssen.

Nötig hat die russische Armee faktische Zwangsrekrutierungen nicht. Sie hat inzwischen genügend Vertragssoldaten; der Sold ist ein starker Anreiz. In der Vergangenheit hatte man massiv zumindest Gefangene „angesprochen“.

Böses Nachspiel: Werden Demonstranten für den Krieg zwangsrekrutiert?
Böses Nachspiel: Werden Demonstranten für den Krieg zwangsrekrutiert? © AFP | OLGA MALTSEVA

Von mindestens sechs Fällen von solchen Rekrutierungen in Petersburg berichtet das russische Exilmedium „Meduza“ und bezieht sich dabei auf Informationen der Menschenrechtsorganisation Get Lost. Die Behörden äußern sich dazu nicht. Zweifelsfrei verifizieren lassen sich die Berichte auch nicht.

Kommen die Gerüchte Putin gelegen?

Die Gerüchte kommen Kremlchef Wladimir Putin womöglich sogar gelegen. Denn naturgemäß wirken sie einschüchternd. Als kürzlich ein russischer Deserteur in Spanien tot aufgefunden wurde – erschossen –, waren es die russischen Staatsmedien, die das Rache-Thema aufgriffen. Verräter sollen ruhig wissen, dass sie gefährlich leben. Einen internationalen Rufschaden nahm man in Kauf.

Bei Kremlgegnern greift in diesen Tagen womöglich die gleiche Logik der Abschreckung. Zumal die Stimmung im Land ohnehin angespannt ist und die Nervosität der Behörden groß sein dürfte. Denn:

  • Nach Nawalnys mysteriösem Tod haben Hunderte Menschen in vielen russischen Städten demonstriert.
  • Am Samstag jährt sich zum zweiten Mal der Beginn des Ukraine-Kriegs, der damit in sein drittes Jahr geht.
  • Mitte März stehen in Russland Präsidentschaftswahlen an, zu denen Nawalny zu Protesten aufgerufen hat.

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Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International brandmarkte das Vorgehen der russischen Behörden als „kaltblütig“. Sie setzten willkürliche Verhaftungen, den exzessiven Einsatz von Gewalt und unrechtmäßige Anklagen gegen Menschen ein, „die nur versuchen, um Alexej Nawalny zu trauern“. Ein Verstoß gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. (fmg)

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