Berlin. In der Flüchtlingspolitik ist es Zeit für einen Wandel – den können die Regierungen von der Klimapolitik lernen. Ein Kommentar.

Der Asylpolitik fehlt, was die Klimapolitik längst gelernt hat. Regierungen schaffen Maßnahmen, die ein Leben in einer Welt mit höheren Temperaturen möglich machen. Kommunen schaffen Städte, die mehr Wasserspeicher für Rekordsommer bauen und Wärme in Energie umwandeln. Notfallpläne für Klima-Katastrophen werden trainiert, Landwirte züchten Pflanzen, die resistenter gegenüber Starkregen oder Dürre sind. Der Schlüssel ist die „Resilienz“ – die Fähigkeit, eine Belastung auszuhalten. Aus ihr zu lernen, um am Ende gestärkt aus einer Krise rauszukommen.

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Die deutsche Flüchtlingspolitik hat den Aufbau einer „Resilienz“ verschlafen. Die Belastung ist seit Jahren da, doch noch immer prägen Naivität, Schuldzuweisungen, Abschottung und Angstmache die Debatten über Migration und Flucht. Noch immer gibt es keinen Plan, langfristig Migrationspolitik zu organisieren – weder an der EU-Spitze in Brüssel, noch in den Regierungen von Bund und Ländern in Deutschland.

Mehr als eine Million Schutzsuchende 2022: Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen. Auf einem Banner im Hintergrund steht
Mehr als eine Million Schutzsuchende 2022: Geflüchtete aus der Ukraine laufen nach ihrer Ankunft durch die Eingangshalle vom Messebahnhof Laatzen. Auf einem Banner im Hintergrund steht "Willkommen in Hannover" auf Ukrainisch. © dpa | Michael Matthey

Migration und Flucht aber lassen sich nicht ignorieren. So viele Menschen wie nie sind aus ihrer Heimat geflohen, weltweit mehr als 100 Millionen Menschen. Der Krieg in der Ukraine hat die Lage in Europa verschärft. Flutkatastrophen und Dürren treiben Betroffene aus ihren Regionen in sichere Gebiete. Wir leben im Zeitalter der Flucht – und doch reden wir darüber, als ließe sich mit ein paar Millionen Euro Förderung und ein paar Gesetzesänderungen reparieren, was über Jahrzehnte zerstört wurde.

100 Milliarden für die Bundeswehr – aber wenig Geld für die Flüchtlingspolitik

Die Last der Migration und Flucht tragen in Deutschland vor allem die Kommunen. Vielerorten sind Ausländerbehörden am Limit, dort fehlen Unterkünfte und Wohnungen für Schutzsuchende genauso wie Betreuung in Kitas und Schulen. Die Kommunen sind Deutschlands kleinste Verwaltungseinheit – und doch müssen sie die Weltkrisen schultern. Das kann so nicht bleiben.

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Kurzfristig brauchen die Städte und Gemeinden vor Ort mehr Hilfe vom Bund: Geld, Personal, Know-How. Schon einmal hat die Bundeswehr 2015 bei der Registrierung von Asylsuchenden geholfen. Warum nicht jetzt auch? Und wenn die Scholz-Regierung 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Sonderetat verspricht, sollte sie nicht nur drei, vier Milliarden für Verbesserungen in der Asylpolitik bereitstellen.

Christian Unger, Politik-Korrespondent.
Christian Unger, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Die Bundesregierung erleichtert Fachkräfteeinwanderung, ermöglicht bessere Chancen für abgelehnte Asylsuchende, doch noch einen Job und damit ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen. Die Ampel legt Sonderprogramme für Afghanistan und die Türkei auf, teilweise sind es bürokratische Monster. Doch vor allem gilt: Was in Berlin beschlossen wird, müssen Landräte und Kreisverwaltungen vor Ort umsetzen: Menschen versorgen, unterbringen, integrieren.

Dauerhafte Unterkünfte, statt Wiederaufbau bei jeder neuen Fluchtbewegung

So wichtig wie kurzfristige Hilfe, sind langfristige Konzepte. Statt länger Widerstand von Staaten wie Polen oder Slowakei bei der Aufnahme von Flüchtlingen brechen zu wollen, müssen sich aufnahmewillige Staaten in Europa solidarisieren. Sie werden hohe Kosten haben. Aber sie werden langfristig mit mehr Fachkräften belohnt. Keine EU-Nation wird ohne Zuwanderung stark bleiben.

Statt jedes Jahr das Scheitern von Abschiebungen zu verkünden, muss die Politik freiwillige Ausreisen stärker fördern. Und statt Asylunterkünfte nach einer Fluchtkrise wie 2015 wieder massenhaft abzubauen, müssen dauerhafte Einrichtungen entstehen – eingebunden in ein Netzwerk von freiwilligen Helfern vor Ort. Was Deutschland braucht, ist eine robuste, eine resiliente Asylpolitik.