Berlin. Vor dem Flüchtlingsgipfel im Kanzleramt ringen Kommunen, Länder und Bund um Geld und Einigkeit. Faeser plant eine Reform auf EU-Ebene.

Es ist ein Hilferuf, den der Städte- und Gemeindebund mit Blick auf die Unterbringung von Geflüchteten sendet: „Viele Kommunen sind bei Unterbringung, Integration, Schaffung von Kita und Schulplätzen längst an ihren Kapazitätsgrenzen. Auch die Ehrenamtlichen sind erschöpft“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg unserer Redaktion. Das vergangene Jahr war, geprägt vom Ukraine-Krieg, ein Rekordjahr der Zuwanderung. Aktuell steigt die Zahl unerlaubter Einreisen nach Deutschland.

Es knirscht an vielen Stellen. Die Kommunen sind teils überfordert, sie wollen ebenso wie die Länder mehr Geld vom Bund. Der wiederum sucht nach einer eigenen Strategie und setzt zugleich auf eine Reform der gemeinsamen Asylpolitik der Europäischen Union (EU), wohlwissend, dass die Verhandlungen „extrem schwierig“ werden und sich wohl wochenlang ziehen könnten, wie Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann unserer Redaktion sagte.

Ihre Parteikollegin und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt prescht daher vor: Es könne nicht sein, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) um die Frage winde, wie es mit der Finanzierung für Länder und Kommunen weitergehen solle.

Spätestens in einer Woche werden die Ministerpräsidenten von Scholz Antworten auf diese Frage erwarten – am 10. Mai findet im Kanzleramt ein Flüchtlingsgipfel statt. Unsere Redaktion beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie viele Flüchtlinge kommen nach Deutschland?

Mehr als zwei Millionen Geflüchtete sind vergangenes Jahr nach Deutschland gekommen, die meisten aus der Ukraine. Aber es kommen auch vermehrt wieder Menschen aus Syrien, Afghanistan und nordafrikanischen Ländern. 2022 waren es so viele wie seit 2016 nicht mehr. Im ersten Quartal des aktuellen Jahres erfasste die Bundespolizei 19.627 unerlaubte Einreisen. „Wenn die irreguläre Migration nicht zusehends begrenzt wird, wird auch die Akzeptanz der Menschen vor Ort für Einwanderung und Integration schwinden“, warnt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.

Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnt vor schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung beim Thema Migration.
Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnt vor schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung beim Thema Migration. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

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Ebenfalls im ersten Quartal des laufenden Jahres stellten nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 80.978 Menschen erstmalig einen Asylantrag – das sind 80 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. 5817 davon waren Kinder unter einem Jahr. Außerdem sind im laufenden Jahr bis zum 31. März laut Bundesregierung und Ausländerzentralregister 81.647 Menschen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg eingereist. Sie müssen keine Asylanträge stellen.

Wie viel Geld fließt in der Flüchtlingspolitik?

Zuletzt hatte der Kanzler im Koalitionsausschuss vorgetragen, wie viel Geld 2022 vom Bund an die Länder geflossen sei: Etwa fünf Milliarden Euro für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, weitere fünf Milliarden Euro für anerkannte Asylbewerber sowie 2,5 Milliarden Euro als Pauschale für die Kommunen und 2,5 Milliarden Euro für Integration.

Die Länder fordern dennoch eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen. Die zugesagte Pauschale für 2023 reicht ihrer Ansicht nach nicht aus.

In welche Länder dürfen Flüchtlinge abgeschoben werden?

Eine Belastung für die Kommunen sind auch die Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Doch Abschiebungen scheitern immer wieder – obwohl die Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten stammen. Das sind Länder, bei denen angenommen wird, dass es dort in der Regel weder politische Verfolgung noch unmenschliche Bestrafung gibt. Deshalb erhalten sie kein Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Die Liste dieser Herkunftsstaaten soll ausgeweitet werden, um schnellere Asylentscheidungen und Abschiebungen zu ermöglichen. Die alte schwarz-rote Bundesregierung wollte Tunesien, Algerien, Marokko und Georgien in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufnehmen. Der Vorschlag ging 2019 durch den Bundestag, stieß aber im Bundesrat auf Widerstand von Ländern, in denen Grüne oder Linke mitregieren.

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Die Grünen sind heute dagegen, die Maghreb-Staaten wie Tunesien oder Marokko als sichere Herkunftsstaaten anzuerkennen. Über andere Staaten scheint es aber eine gewisse Gesprächsbereitschaft zu geben. Die FDP will die Liste ausweiten. Zumindest für Georgien, das 2022 nach Syrien, Afghanistan, der Türkei und Irak an fünfter Stelle der Hauptherkunftsländer lag, kann sich das auch die SPD vorstellen. Der Flüchtlingsbeauftragte der Regierung, Joachim Stamp (FDP), arbeitet an einem Konzept, wie die Abschiebungen besser gelingen können.

Was will Innenministerin Faeser erreichen?

Konkret geht es laut der SPD-Politikerin darum, dass „an den Grenzen schon Asylverfahren stattfinden können“. „Das heißt, dass bereits dort die Registrierung und Erfassung und Identifizierung der Geflüchteten stattfinden wird“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Im Zuge eines „Ausgleichs“ innerhalb der EU sei dann die „Solidarität der anderen Staaten“ gefragt.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union reformieren.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union reformieren. © imago/Christian Spicker | imago/Christian Spicker

Deutschland arbeite dazu unter anderem mit Frankreich, Italien, Spanien, Schweden und Belgien zusammen. Im Gespräch sei eine Bearbeitungszeit der Asylanträge von maximal zwölf Wochen. Hier gibt es Kritik vom innenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm: „Screening-Zentren an der EU-Außengrenze sind unverzichtbar.“ Grenzverfahren müssten für alle Personen gelten, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von bis 20 Prozent kommen.

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