Berlin. Zwei weitere Sachverhalte besiegeln das Schicksal des umstrittenen Staatssekretärs. Habeck will schnell einen Nachfolger benennen.

Die Unterschrift, die das Ende von Patrick Graichens Karriere als Staatssekretär besiegelt, stammt nach Darstellung des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem vergangenen November. Damals landet auf seinem Schreibtisch eine Liste: Drei Projektskizzen für Projekte im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative.

Eine davon, mit einer Fördersumme von knapp 600.000, kommt vom Landesverband des BUND in Berlin. Und dort sitzt Graichens Schwester im Landesvorstand, war bis Mai vergangenen Jahres sogar Landesvorsitzende. „Diese Vorlage hätte Patrick Graichen laut Compliance-Regel weder vorgelegt werden dürfen noch hätte er sie abzeichnen dürfen“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch. Doch die Liste kommt zu Graichen – und er gibt grünes Licht.

Graichen und Habeck seit Wochen unter Druck

Ein halbes Jahr später ist es „der eine Fehler zu viel“, wie Habeck sagt, und der Grund, warum Graichen nicht weiter als Staatssekretär für das Wirtschaftsministerium arbeiten wird. Der 51-Jährige wird in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Patrick Graichen – und mit ihm Habeck selbst – stand seit Wochen unter Druck, ursprünglich wegen seiner Rolle in der Neubesetzung des Chefpostens bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Als Teil einer der Findungskommission hatte Graichen mitgewirkt an der Neubesetzung, dabei aber nicht darauf hingewiesen, dass der letztendlich ausgewählte Kandidat sein Trauzeuge gewesen war.

Erst in der vergangenen Woche hatten sowohl der Minister als auch der Staatssekretär sich dazu bei einer gemeinsamen Sitzung der Bundestagsausschüsse für Energie und Klima und Wirtschaft erklären müssen. Der Sachverhalt rund um das BUND-Projekt war zu diesem Zeitpunkt laut Habeck schon „aufgetaucht“, eine erste kursorische Prüfung sei aber entlastend gewesen. Erst am Dienstagabend, sagte der Minister, habe das finale Prüfergebnis vorgelegen. Und das lautete, dass ein Compliance-Verstoß vorliege. Geld sei noch nicht geflossen.

Experten: Graichen hat sich zu angreifbar gemacht

Auch einen weiteren Vorgang, der im „Graubereich“ liege, nannte er am Mittwoch. Dabei gehe es um die Besetzung der Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring, bei der unter anderem Felix Matthes vom Freiburger Öko-Institut als Experte beauftragt worden sei. Der Vorgang liege schon länger zurück. Auch hier sei die vertiefte Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass der Anschein der Parteilichkeit besser hätte vermieden werden sollen, sagte Habeck. Beim Öko-Institut arbeiten Graichens Schwester und sein Bruder.

Unterm Strich hat sich Graichen nach Einschätzung von Habeck damit zu angreifbar gemacht, um noch länger haltbar zu sein. Die „Compliance-Brandmauer“, sie habe nun Risse. Es ist das einzige Mal während der Pressekonferenz, dass Habeck in seinem üblichen bildhaften Stil spricht. Auffällig formal ist der Rest des Auftritts.

Lobbycontrol sieht Wirtschaftsministerium in der Verantwortung

Der Vorgang rund um das BUND-Projekt zeige, dass „die vom Ministerium behauptete sogenannte Brandmauer nicht funktioniert hat“, sagte Timo Lange von Lobbycontrol. „Das ist sehr bedenklich.“ Das Wirtschaftsministerium müsse nun jenseits des Fehlverhaltens von Graichen erklären, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Graichen in die fragliche Förderentscheidung eingebunden war. Lobbycontrol sieht das Wirtschaftsministerium, aber auch den Rest der Bundesregierung in der Verantwortung, den Umgang mit Interessenskonflikten zu verbessern. „Wir fordern verpflichtende Interessenerklärungen zu Amtsantritt von allen Leitungspersonen in den Ministerien und ein unabhängiges Kontrollgremium, das Compliance-Verfahren regelmäßig überprüft“, sagte Lange.

Trotz der Fehler lobt Habeck die Arbeit des scheidenden Staatssekretärs im vergangenen Jahr. Graichen habe „große Leistungen für dieses Land erbracht“, sagte Habeck. Er habe Deutschland unter anderem „vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden“. In den letzten Wochen sei Graichen zudem „über das berechtigte Maß“ Kritik und Anfeindungen ausgesetzt gewesen.

Habeck will Posten so schnell wie möglich nachbesetzen

Bei der SPD hofft man jetzt auf eine Rückkehr zur Sachpolitik. „Ohne Frage Patrick Graichen ist ein Experte in Punkto Energiewende. Die Vorgänge in der jüngsten Vergangenheit und die neuaufgekommenen Vorwürfe sind jedoch eine Belastung gerade für diese Energiewende“, sagte Mast unserer Redaktion. Sie hoffe sehr, dass jetzt wieder Sachthemen im Vordergrund stehen würden. „Denn bei der Energie- und Wärmewende steht verdammt viel an.“ Der FDP-Abgeordnete Michael Kruse warnte vor einem „Macht-Vakuum“ im Wirtschaftsministerium und forderte einen neuen Zeitplan für das geplante Heizungsgesetz.

Habeck selbst hat angekündigt, Graichens Posten so schnell wie möglich nachbesetzen zu wollen, wenn möglich noch vor der parlamentarischen Sommerpause. Laut einem „Bild“-Bericht soll Netzagentur-Chef Klaus Müller ein Favorit für den Posten sein.

Möglicherweise problematische Verbindungen der Kandidaten und Kandidatinnen sollen dabei aktiv abgefragt werden. Darüber hinaus sei man durch die aktuelle Debatte sensibilisiert - „ich werde nicht meinen Trauzeugen jetzt als Staatssekretär berufen“, sagte Habeck.