Berlin. Viele Menschen haben keine Ausbildung. Trotzdem könnten ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt bald wachsen. Eine Studie verrät, warum.

Ob in der Pflege, Erziehung, Gastronomie oder im Handwerk – in fast allen Branchen gibt es offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Besonders gefragt sind Fachkräfte und qualifiziertes Personal. Gleichzeitig gibt es aber auch mehr als eine Million An- und Ungelernte, die arbeitslos sind und keine Stelle finden. Um dieses Missverhältnis am Arbeitsmarkt zu reduzieren, müsste aus Sicht von Ökonomen die Qualifizierung eine viel größere Rolle spielen.

„Rein rechnerisch könnte die Fachkräftelücke um etwa 83.000 Menschen verringert werden, wenn arbeitslose Helferinnen und Helfer in dem Berufsfeld, in dem sie eine Stelle suchen, zu Fachkräften qualifiziert werden.“ Das ist das Ergebnis einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die dieser Redaktion vorliegt. Diese Zahl entspreche knapp einem Viertel der mehr als 350.000 Stellen, die aktuell nicht besetzt werden können, weil Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung fehlen.

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„Die Fachkräftesituation wird sich durch den demografischen Wandel weiter verschärfen. Daher gilt es künftig, die Potenziale von An- und Ungelernten bei der Fachkräftesicherung noch intensiver zu nutzen“, so Studienautorin Sabine Köhne-Finster. Wichtig sei es für Unternehmen, bei der Personalsuche mögliche Qualifizierungspotenziale mitzudenken und Arbeitslose gezielt auf diese Möglichkeiten anzusprechen. 2022 hat der Fachkräftemangel mit mehr als 630.000 Stellen einen neuen Höchststand erreicht.

Jobs: In diesen Berufen haben Ungelernte die besten Chancen

Insgesamt gibt es mehr als 400 Berufe, die eine Berufsausbildung voraussetzen. Doch nicht alle Jobs in diesen Berufsfeldern müssen mit Fachkräften besetzt werden. In 64 dieser Berufe werden auch helfende Tätigkeiten gebraucht – Menschen, die Fachkräften zuarbeiten. In 16 Berufen könnte die Fachkräftelücke durch eine Weiterbildung reduziert werden, heißt es in der KOFA-Studie.

Kochen für Gäste: In diesem Beruf haben auch Ungelernte gute Chancen, wenn sie entsprechend weitergebildet werden.
Kochen für Gäste: In diesem Beruf haben auch Ungelernte gute Chancen, wenn sie entsprechend weitergebildet werden. © dpa | Philipp Brandstädter

So könnten beispielsweise im Verkauf, in der Lagerwirtschaft, bei Köchen, in der Metallbearbeitung, bei Malern und Lackierern die Fachkräftelücken komplett geschlossen werden. Im Tiefbau, der Elektrotechnik, im Metallbau, der Kunststoffherstellung, in Hotels, der Gastronomie oder in der Lebensmittelherstellung ließen sich durch Weiterbildung viele offene Stellen besetzen. So gibt es laut Studie in der Gastronomie zwar nur 2300 Bewerber für rund 8400 offenen Ausbildungsplätze – gleichzeitig seien im Gastronomieservice derzeit 17.700 Helfende arbeitslos.

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Das Handwerk setzt Ungelernte oder Geringqualifizierte ein – jedoch je nach Gewerk unterschiedlich oft. Im Lebensmittelgewerbe oder bei Gebäudereinigern ist der Anteil laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) höher. Im Kraftfahrzeuggewerbe, im Ausbau oder in Klimahandwerken findet man Ungelernte eher selten. „Komplexere oder technisch herausfordernde Aufgaben, wie die Installation einer Wärmepumpe, lassen sich ohne tieferes Fachwissen nicht fachgerecht installieren“, heißt es vom ZDH. „Auch die Reparatur eines Motorschadens am Auto sollte einer qualifizierten Fachkraft überlassen werden.“

Jobs: Weiterbildung und Qualifizierung wichtig

Die KOFA-Studie empfiehlt Weiterbildung durch Umschulungen oder Qualifizierungen. Diese Maßnahmen würden oft von Arbeitsagenturen oder den Industrie- und Handelskammern unterstützt. „Die Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten im Handwerk sind äußerst flexibel gestaltet und ermöglichen einen breiten Einstieg in die Erwerbstätigkeit“, sagt Dirk Palige, ZDH-Geschäftsführer, dieser Redaktion.

Ein Mitarbeiter eines Elektromotoren- und Ventilatorenherstellers arbeitet in der Produktion an einem Ventilator. Älteren Menschen über 50 Jahren sollte gezielt Weiterbildungen angeboten werden.
Ein Mitarbeiter eines Elektromotoren- und Ventilatorenherstellers arbeitet in der Produktion an einem Ventilator. Älteren Menschen über 50 Jahren sollte gezielt Weiterbildungen angeboten werden. © dpa | Christoph Schmidt

Das Potenzial von Teilqualifizierungen werde bereits erprobt. „Vor dem Hintergrund des großen Fachkräftebedarfs im Handwerk dürften solche Teilqualifizierungen gerade für Ungelernte oder Geringqualifizierte an Bedeutung gewinnen“, so Palige. Nicht jeder muss deshalb einen Beruf neu lernen oder eine mehrjährige Ausbildung absolvieren. Teilqualifizierungen dauern in der Regel nur wenige Monate. Betriebe könnten manche Qualifizierungen auch im Job selbst übernehmen.

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Gleichzeitig könnten jüngere Arbeitslose unter 30 Jahren die Chance einer Ausbildung nutzen. Denn viele der angebotenen Ausbildungsplätze sind unbesetzt. Allein das Handwerk hat laut ZDH aktuell noch 37.000 unbesetzte Ausbildungsplätze. Im vergangenen Jahr konnten gut 7260 Ausbildungsplätze im Verkauf oder 3000 Plätze im Hotel- und Gaststättenservice nicht besetzt werden. Menschen über 50 Jahren sollten laut Studie unterdessen gezielt Weiterbildungen angeboten werden.

Jobs: Niedrige Bezahlung vergrault Beschäftigte

Manche Arbeiten sind aber auch unattraktiver geworden. „In manchen Berufsgruppen wie Gastronomie und Pflege gäbe es durchaus genug qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte, aber viele haben sich wegen schlechter Arbeitsbedingungen und niedriger Bezahlung inzwischen beruflich umorientiert“, berichtete Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Gegen diese Abwanderung helfen nur bessere Konditionen.“

Schwieriger ist die Stellenbesetzung im Gesundheitsbereich, der Kranken- oder Altenpflege, wo rund 35.000 Fachkräfte gesucht werden. Dort würde selbst eine Qualifizierung von Helfenden nicht ausreichen, um alle offenen Stellen zu besetzen. Allein in der Gesundheits- und Krankenpflege sind laut Studie rund 17.000 Stellen unbesetzt, zugleich stünden diesem Bedarf nur 2377 arbeitslose Helferinnen und Helfer gegenüber. Darüber hinaus erfordert die Arbeit in der Gesundheitsbranche fast immer eine abgeschlossene Berufsausbildung.

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