Berlin. Die Staaten des Globalen Südens verzeichnen einen Verschuldungsrekord. Viele geraten in eine Spirale, aus der es nur einen Ausweg gibt.

Die weltweite Schuldenkrise spitzt sich weiter zu – und bedroht insbesondere die Wirtschaft und Gesellschaft der sowieso schon ärmsten Länder immer mehr. Zu diesem Ergebnis kommt der gemeinsame Schuldenreport 2024 der Nichtregierungsorganisationen Misereor und Erlassjahr.de, der dieser Redaktion vorab vorlag. 130 von 152 untersuchten Ländern weisen demnach eine mindestens leicht kritische Verschuldungssituation auf, 24 dieser Staaten sind sehr kritisch verschuldet – eine globale Bedrohung.

Zwar hat sich laut Schuldenreport gegenüber den Corona-Krisenjahren die Verschuldungssituation für einige Länder des sogenannten Globalen Südens etwas verbessert. Für den Großteil der Staaten bleibt die Verschuldungssituation jedoch angespannt. Angeführt wird die Negativ-Liste von Pakistan, mit einem öffentlichen Auslandsschuldenstand von gut 99 Milliarden US-Dollar. Platz zwei belegt Sri Lanka (39 Milliarden US-Dollar) und auf Platz drei folgt der Libanon mit gut 33 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden.

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Auf den weiteren Plätzen folgen Ghana (29 Milliarden US-Dollar), Sudan (17 Milliarden US-Dollar) und Sambia (16 Milliarden US-Dollar). Insgesamt sind 55 Prozent der untersuchten Länder kritisch oder sehr kritisch verschuldet. Vor der Pandemie waren es noch 37 Prozent. Der Begriff „Globaler Süden“ soll Bezeichnungen wie Entwicklungsländer⁠, Schwellenländer⁠ oder „Dritte Welt“ ablösen. Die Bezeichnung ist jedoch nur bedingt geografisch zu verstehen. So werden Australien und Neuseeland dem sogenannten Globalen Norden zugeordnet, während Länder wie Afghanistan und die Mongolei zum Globalen Süden gezählt werden.

Schuldenreport: Neuer Negativrekord für verschuldete Länder

Und der diesjährige Schuldenreport hat auch noch einen Negativrekord parat. Die verschuldeten Staaten im Globalen Süden müssen 2024 so viel Schuldendienst wie noch nie an ihre ausländischen Gläubiger leisten. In konkreten Zahlen bedeutet das: Mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag fließen in den Schuldendienst. Bei 45 Staaten fließen sogar mehr als 15 Prozent der Staatseinnahmen in den Schuldendienst. Unter den Gläubigern sind vor allem die G7- und EU-Staaten sowie China.

„Die dramatische Überschuldung ist zu einem enormen Entwicklungshindernis für viele Länder geworden“, sagt Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) dieser Redaktion. „Für die Stabilität der Weltwirtschaft ist das eine tickende Zeitbombe.“ Armut und Überschuldung bedrohen nicht nur dort die dortige Wirtschaft und Gesellschaft, sie haben auch Auswirkungen auf die ganze Welt. Denn um Schulden abzubauen, kürzen viele Länder dort, wo Investitionen eigentlich am dringendsten gebraucht werden.

Nennt die internationale Schuldenkrise eine „tickende Zeitbombe für die Weltwirtschaft“: Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Nennt die internationale Schuldenkrise eine „tickende Zeitbombe für die Weltwirtschaft“: Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. © picture alliance / SZ Photo | Jürgen Heinrich

„Statt in die Bildung der Kinder, in ein starkes Gesundheitssystem oder in den Klimaschutz zu investieren, ächzen viele Entwicklungsländer unter einer viel zu hohen Schuldenlast“, so Schulze. Laut dem Schuldenreport leben mehr als 3,3 Milliarden Menschen – fast die Hälfte der Menschheit – in Ländern, die mehr für die Begleichung ihres Schuldendienstes ausgeben als für Bildung oder Gesundheit.

Durch Krieg gegen Russland rückt Ukraine auf Liste weiter nach oben

Verschuldungs-Hotspots sind demnach vor allem Länder in Subsahara-Afrika: Elf Staaten werden hier vom Schuldenreport als sehr kritisch verschuldet eingestuft, 22 weitere als kritisch. Auch in Lateinamerika und der Karibik sowie in Südasien, Südostasien und dem Pazifik wird die Verschuldungssituation demnach in mehr als der Hälfte der untersuchten Länder als kritisch oder sehr kritisch eingestuft. Die Analyse basiert auf Daten bis Dezember 2022 – auch die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind im diesjährigen Schuldenreport erstmalig eingerechnet.

Die Ärmsten der Armen, wie beispielsweise im Sudan: Deutschland müsse helfen, fordern die Studienautoren.
Die Ärmsten der Armen, wie beispielsweise im Sudan: Deutschland müsse helfen, fordern die Studienautoren. © AFP | -

Die Verschuldungssituation der Ukraine hat sich über die vergangenen drei Jahre signifikant verschlechtert und wird nun als kritisch eingeschätzt. Als weiteres Beispiel wird Sri Lanka genannt. Die Bevölkerung des Inselstaats leidet unter stark gestiegenen Preisen für Energie. Haushalte werden vom Stromnetz abgeklemmt, wenn sie nicht zahlen können. Die Lebenshaltungskosten haben sich verdoppelt. Öffentliche Infrastruktur soll zum Verkauf angeboten werden, um wieder Geld für den Schuldendienst zu mobilisieren. Dies seien alles Folgen der von den Gläubigern verlangten Maßnahmen im Kontext der Umschuldung.

Entschuldung: NGOs fordern die Bundesregierung zum Handeln auf

Die Studienautoren fordern daher vor allem Deutschland zum Handeln auf. Denn: 70 Prozent der Kredit-Forderungen an den Globalen Süden liegen im Verantwortungsbereich der EU- und G7-Staaten. Deutschland müsse sich nicht nur international dafür einsetzen, dass die Weltgemeinschaft die Weichen für Entschuldungsverfahren stellt. Zuallererst müsse sichergestellt werden, dass in den verschuldeten Staaten wieder Menschenrechte in den Vordergrund rückten – und nicht die Interessen der Gläubiger.

Inwieweit die Ampel-Koalition aber tatsächlich handeln will, ist fraglich. Die Bundesregierung hat ein rigoroses Sparprogramm für den Haushalt 2024 beschlossen. Davon betroffen sind auch die Ministerien, die sich um internationale Zusammenarbeit kümmern. Dem Auswärtigen Amt stehen laut Schuldenreport 18 Prozent weniger für humanitäre Hilfe zur Verfügung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat acht Prozent seines Etats dafür eingebüßt.

Ministerin Schulze will jedenfalls vor allem China in die Pflicht nehmen. Eine gerechte Lösung der Schuldenproblematik sei nur möglich, wenn sich alle Gläubiger gleichwertig daran beteiligen. „Mittlerweile ist China zum größten staatlichen Gläubiger armer Länder geworden. Frei werdende Gelder müssen den armen Ländern selbst zugutekommen – und nicht anderen Gläubigern“, sagt Schulze. „Neben China gilt es, auch private Gläubiger besser in die Pflicht zu nehmen.“ Innerhalb der Bundesregierung würden derzeit verschiedene Möglichkeiten geprüft, wie das am besten gelingen kann.