Berlin. Der perfekte Körper: Den bauen sich Teenager-Jungs mit Hanteln und Proteinen. Was für ein Optimierungswahn, findet unsere Kolumnistin.

Neulich hat mich so ein schlaksiger Teenager um Hilfe gebeten. Ich solle doch bitte seine Eltern überreden, ihm das Fitnessstudio zu erlauben. Er sei viel zu dünn, habe viel zu wenig Muskeln. Er zog den Ärmel von seinem T-Shirt hoch und zupfte an seinem Trizeps. Zu fassen bekam er in der Tat nichts. Seine Eltern, sagte er, hätten Angst davor, dass er zu schwere Gewichte stemme, weil er noch nicht ausgewachsen sei.

Ich fühlte mich überfordert. 15jährige Jungs, die pumpen wollen. Für ein breites Kreuz, ein hartes Sixpack, ordentlichen Oberschenkeln, einen dicken Hals und vor allem Armen, um die sich jeder T-Shirt-Ärmel fest spannt. Ich fragte ihn, ob er sich denn mit den Gefahren auseinandergesetzt habe.

Und dann hielt er mir ein Grundsatzreferat. Sprach über Eiweiße und Fette. Dass er Gewicht zunehmen, dass er Fett überhaupt erst mal ansetzen müsse, damit es genug Substanz gibt, die sich in Muskeln umwandeln kann. Das wird harte Arbeit, sagte ich, weil ich von seiner Mutter wusste, dass er zum Beispiel von einer großen Pizza Tonno gar nicht richtig satt wird.

Messen, wiegen, hungern, boostern: Welche Diät ist die beste?
Messen, wiegen, hungern, boostern: Welche Diät ist die beste? © picture alliance / Jan Haas | dpa Picture-Alliance / Jan Haas

Der Gedanke, sich Fett anfressen zu müssen, schüttelte mich. Schließlich tue ich viel dafür, genau das zu vermeiden. Ich gehe oft joggen, lange und langsam, im Meditationsmodus, um Stress abzubauen. Ich gehe viel zu Fuß, manchmal sogar die sechs Kilometer in die Redaktion.

Ich mache Yoga im Wohnzimmer, damit mich die Bandscheibe nicht piesackt. Und doch sammeln sich Fettdepots an Stellen, wo ich sie gar nicht gebrauchen kann. Mein Besserwisser-Sohn klärt mich auf: Ich solle auch Gewichte stemmen. „Sonst bringt das ganze Sportprogramm nichts“.

Aber da ist für mich die Grenze erreicht. Ich finde nichts schlimmer als Gewichte zu stemmen. Das ist dumpf und langweilig. Das sagte ich auch dem schlaksigen Teenager, der immer noch gedankenverloren an seinem Trizeps zupfte.

Ich blickte auf seine riesigen Füße, seine groben Hände, die langen Arme und Beine. Irgendwie nicht fertig, dieser Körper. Nicht ausbalanciert. So ist das bei den Jungs in dem Alter. Ich fragte schließlich ausweichend nach seinen Freunden. Es folgte das Argument, dass alle Heranwachsenden hervorbringen, sobald sie sprechen können, wenn ihnen etwas verboten wird: „Die machen das alle.“

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Zu dünn, dachte ich, das ist ja wie zu dick. Du musst ständig ans Essen denken. Wann welche Proteine, wann welche Kohlenhydrate? Welche Ballaststoffe? Wieviel Zeit muss zwischen Sport und Nahrungsaufnahme liegen? Hilft Reis beim Zunehmen? Was ist mit Low Carb? Kalorienzählen? Wie optimiere ich den Stoffwechsel? Und wie die Verdauung?

Social Media heizt das ganze noch richtig an. Geht mir ja auch nicht anders. Diese ganzen Diät-Influencer reden schließlich auch auf mich ein, sobald ich auf Insta unterwegs bin. Natürlich weiß ich, wieso mir Proteinpulver angeboten werden oder Apps, mit denen ich meinen Tag optimieren soll.

Es ist der Algorithmus. Ich verweile zu lange, öffne zu oft. Offenbar werde ich als Person erkannt, die viel über Essen und Abnehmen nachdenkt. Tatsächlich rede ich gern darüber, dass ich früher nur einen Apfel zu Abend essen musste und schon war der Pizza-Pasta-Pinot-Urlaub vergessen.

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Und ich bleibe hängen, wenn mir empfohlen wird, mit Zitrone im Wasser den Stoffwechsel zu boostern. Ich höre zu, wenn die Kollegin von ihren Fasten-Intervallen redet und lese mit Freude, dass Low Carb das Leben verkürzt. Ich bekomme schließlich schlechte Laune, wenn ich beim Essen auf Brot verzichten soll.

FUNKE-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft.
FUNKE-Kolumnistin Birgitta Stauber schreibt über Frauen, Familie und Gesellschaft. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Offenbar gehöre ich zur perfekten Zielgruppe: Boomer-Frauen, die über ihr Gewicht nachdenken, weil sie nicht mehr in die alte Skinny-Jeans passen. Und sicher bin ich nicht allein, warum sonst machen sich auf TikTok Teenies über ihre Mütter im Diät-Wahn lustig (die sogenannten Almond Moms, die drei Mandeln essen und sagen, sie seien satt).

Der dünne Junge, der ins Fitnessstudio will, wird wahrscheinlich permanent mit Muskelaufbauprogrammen malträtiert. Tolle Typen mit dem perfekten Körper, die nur noch Proteine in sich reinstopfen. Da tut er mir leid, denn wir hatten in dem Alter die Sorgen nicht.

Ich würde ihm das Fitnessstudio dennoch nicht verbieten. Aber ich würde ihm einen Influencer an die Seite wünschen, der ihm sagt. Mein Gott, Junge, du bist 15. Das Gewicht, die Muskeln, die kommen schon noch. Mach ruhig ein wenig Sport. Iss, was du willst. Ansonsten: Chill mal.

Aber wahrscheinlich sind mit Vernunft keine Klicks zu machen. Eher mit Sehnsucht. Im Grunde ist das alles ein ganz billiges, seelenloses Geschäft. Wirklich schlimm, dass wir alle drauf reinfallen.

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