Berlin. Millionen E-Autos und Wärmepumpen können das Stromnetz bei gleichzeitiger Nutzung zur Überlastung bringen. Experten schlagen Alarm.

Mehr strombetriebene Wärmepumpen und die wachsende Anzahl an E-Autos stellen das Stromnetz vor neue Herausforderungen. Experten warnen bereits vor Überlastungen und Engpässen. Die entscheidende Frage wird sein, ob der Netzausbau schnell genug vorangeht. Oder ob am Ende die geplante Energiewende der Ampel-Regierung an zu wenig Strom scheitert.

Die Energiewende in Deutschland treibt den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und die Elektrifizierung des Verkehrs- und Gebäudesektors voran. 15 Millionen Elektrofahrzeuge und sechs Millionen Wärmepumpen sollen bis 2030 dazu beitragen, die CO2-Emissionen zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen. Dafür wird in der Zukunft deutlich mehr Strom gebaucht. Zu viel?

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Die Bundesnetzagentur erklärt, dass die deutschen Stromverteilernetze zwar generell gut ausgebaut seien, die Belastungen in den jeweiligen lokalen Netzen sich jedoch stark unterscheiden könnten. „Zukünftig stellt auch der Hochlauf von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge die Verteilernetze insbesondere in der Niederspannung vor Herausforderungen“, teilte die Bonner Behörde auf Anfrage mit. „Private Ladeeinrichtungen für Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen bedeuten teilweise beträchtlich höhere Bezugsleistungen in der Niederspannung.“

Bundesnetzagentur sieht Schwachstellen im Stromnetz

Zudem sei bei dieser Art von Verbrauchern mit einer deutlich höheren gleichzeitigen Netznutzung zu rechnen. „Lokale Leitungen und Transformatoren sind teilweise nicht auf eine solche Belastung ausgelegt,“ so das Fazit der Behörde. Vor welchen Herausforderungen das deutsche Stromnetz schon jetzt steht, zeigt der Missglückte Anschluss von Wärmepumpen bei großen Wohnungsunternehmen.

So teilte Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia Mitte Mai mit, man könne 70 installierte Wärmepumpen nicht in Betrieb nehmen, weil die Stromnetze nicht ausreichend belastbar seien. Und auch Vivawest, Nordrhein-Westfalens größter Wohnungsanbieter, teilte auf Anfrage dieser Redaktion mit, dass „es bei einigen Neubau- und Modernisierungsprojekten zu zwischenzeitlichen Hemmnissen bei der Inbetriebnahme von Wärmepumpen gekommen“ sei.

Werden gleichzeitig viele E-Autos geladen, kann das das Stromnetz vor Herausforderungen stellen.
Werden gleichzeitig viele E-Autos geladen, kann das das Stromnetz vor Herausforderungen stellen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Die Schwierigkeiten seien teilweise darauf zurückzuführen, dass die erforderliche Anschlussleistung vom jeweiligen Netzbetreiber nicht ohne Weiteres zur Verfügung gestellt werden konnte oder dieser gewisse Vorlaufzeiten zur Bereitstellung benötigte, so Vivawest. „Entsprechend mussten Bauabläufe in Einzelfällen zum Teil umgeplant werden, um die Anschlussleistung zu reduzieren, was wiederum zu Verzögerungen der jeweiligen Projekte von bis zu zwölf Monaten und zu nicht unerheblichen Mehrkosten geführt hat.“

Übertragungsnetzbetreiber: Netzausbau muss schneller gehen

Die Bundesnetzagentur erklärt zwar, „dass in den uns bekannten Fällen Verzögerungen beim Netzanschluss oftmals nicht aufgrund einer mangelnden Leistungsfähigkeit der Netze, sondern aus anderen Gründen auftreten“, wie beispielsweise wegen fehlender und unplausibler Daten in den Bau-Anträgen. Dennoch empfiehlt die Behörde eine „zeitnahe und vorausschauende Ertüchtigung von Verteilernetzen“, um den Herausforderungen begegnen zu können.

Gleichzeitig warnt die Bundesnetzagentur: „Ertüchtigungsmaßnahmen allein werden jedoch eine schnelle Integration von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen in Verteilernetze nicht gewährleisten können.“ Auch die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland – TenneT, 50Hertz Transmission, Amprion und TransnetBW - mahnen auf Nachfrage dieser Redaktion „mehr Umsetzungsgeschwindigkeit beim Netzausbau“ an.

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Sie gehen davon aus, dass sich der Stromverbrauch in Deutschland bis 2045 verdoppeln wird. Außerdem sei mit einer „Vervielfachung der Wärmepumpen“ von derzeit 1,2 Millionen auf 16 Millionen zu rechnen und einer Vervielfachung der Zahl der Elektroautos von derzeit 1,2 Millionen auf bis zu 37 Millionen. Die vier Netzbetreiber gehen laut Bundeswirtschaftsministerium davon aus, dass bis 2030 rund 50 Milliarden Euro für Investitionen in das Übertragungsnetzwerk – Onshore und Offshore – nötig sein werden.

Diese Herausforderungen sieht die Deutsche Energie-Agentur

Die Deutsche Energie-Agentur (dena) sieht Probleme auf die Verteilernetze insbesondere in der Niederspannung zukommen, wenn viele Menschen gleichzeitig Wärmepumpen und E-Ladestationen nutzen. „Wenn alle um 18 Uhr nach Hause kommen, das Auto einstöpseln und die Wärmepumpe laufen lassen und alles gleichzeitig läuft – dann sind das die Probleme, die auf Verteilnetzebene auftreten können“, erklärt Katharina Umpfenbach, Leiterin Infrastruktur und Gesamtsystem bei der dena, im Gespräch mit dieser Redaktion.

Steht das deutsche Stromnetz vor der Überlastung, wenn immer mehr Wärmepumpen und E-Autos eingesetzt werden?
Steht das deutsche Stromnetz vor der Überlastung, wenn immer mehr Wärmepumpen und E-Autos eingesetzt werden? © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Es braucht „einen massiven Ausbau der Stromnetze auf allen Spannungsebenen“, sagt Umpfenbach – und erklärt, dass dies bereits angegangen werde. Es sei eine Herausforderung, aber machbar. „Und zwar dann, wenn wir zum einen weiter vorausschauend ausbauen und zum anderen flexibilisieren. Also wenn nicht nur die Erzeugungsseite dazu beiträgt, dass Strombedarf und das Stromangebot immer im Ausgleich sind, sondern auch die Nachfrageseite – indem zum Beispiel Lasten in der Zeit verschoben werden.“

Damit meint sie, dass beispielsweise eben nicht das E-Auto gleich abends um 18 Uhr geladen werden muss, wenn alle nach Hause kommen und der Strombedarf gewöhnlich sehr hoch ist. Sondern dass das Laden automatisch erst in der Nacht startet. Wenn der Stromverbrauch niedriger ist.

Bundesnetzagentur: Geräte bei Überlastung abschalten?

Eine Instrument, um zu verhindern, dass es zu neuen Verbrauchsspitzen kommt, würden plötzlich alle E-Autos gleichzeitig nachts geladen werden, ist bereits in der Ausarbeitung: der Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) soll reformiert werden. Die Verteilnetzbetreiber sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, stärker den Verbrauch zu beeinflussen. Konkret könnte das bedeuten, dass der Netzbetreiber den Betrieb einer Wärmepumpe oder den Ladevorgang eines E-Autos unterbrechen könnte, um damit das Netz zu entlasten.

Droht also die Abschaltung bei Überlastung? Nein, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur: „Niemand wird abgeschaltet.“ Er erklärt allerdings, dass der Strombezug in einem nachgewiesenen Notfall von den Netzbetreibern gedimmt werden könne. „Wo der Netzausbau noch nicht stattgefunden hat, müssen wir Vorsorge treffen, dass das Netz in dieser Situation nicht in die Knie geht“, sagte Müller. Werde die Leistung gedimmt, sollten Verbraucher durch einen „Nachlass beim Netzentgelt“ entschädigt werden. Dimmen heiße aber nicht abschalten. Das Auto werde lediglich weniger schnell aufgeladen.

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„Grundsätzlich besteht aber Konsens, dass es zu einer stärkeren Flexibilisierung, zu einer Reaktionsfähigkeit der Verbrauchsseite kommen muss“, so Umpfenbach. „Will man sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 erreichen, dann muss man sowohl ausbauen als auch flexibilisieren. Dann brauchen wir alle Optionen.“

Mit Blick auf die neuen Vorgaben zur Netzausbauplanung, den geplanten Regeln zur kommunalen Wärmeplanung, den Netzausbau, der schon stattfindet, und anderen Maßnahmen zeigt sich Umpfenbach jedoch optimistisch, dass das Stromnetz nicht überlastet wird. „Es gibt eine unglaublich große Vielfalt an Verteilnetzen – und Herausforderungen. Aber grundsätzlich ist das nichts, was nicht zu schaffen ist.“